Der Puppenspieler im Weißen Haus: In "Vice" schlüpft Hollywood-Superstar Christian Bale in die Rolle des Ex-US-Vizepräsidenten Dick Cheney und hat sich dafür wieder einmal einer radikalen Transformation unterzogen. Im Interview verriet er uns nicht nur, warum er Dick Cheney für deutlich gefährlicher hält als Donald Trump, sondern auch, warum er für seine Rollen immer wieder ans Limit geht.
TVMovie.de: Sie haben für Ihre Rollen ja schon mehrfach stark ab- und zugenommen. War es diesmal anders als sonst?
Christian Bale: Es hätte sicher die Möglichkeit gegeben, Cheney zu spielen und nicht so stark zuzunehmen. Wir haben das ca. zwei Minuten lang diskutiert. Und allen war klar, dass das keine Option war. Das Physische beeinflusst das Mentale – und andersrum. Mir war vor dem Dreh noch nicht bewusst, wie fortgeschritten Prothesen beim Film bereits waren. Und sie sind wirklich großartig. Ich wollte mir allerdings nicht bereits im Vorfeld Limits setzen. Ich wollte alles tun, was für diese Rolle notwendig war. Mich haben schon immer Schauspieler inspiriert, die für ihre Rollen bis ans Limit gehen. Außerdem hab ich verdammt großes Glück, dass ich das tun kann, was ich tue. Und deshalb will ich immer alles dafür geben. Wenn das eine physische Verwandlung bedeutet, dann ist es eben so.
Gab es einen Moment am Set, an dem Sie in den Spiegel geschaut haben und dachten: "Jetzt haben wir es geschafft!"
CB: Zu Beginn ging es hauptsächlich ums Ausprobieren. Je mehr ich zugenommen haben, desto realistischer wirkte das Make-Up. In dieser Zeit habe ich auch angefangen, mich intensiv mit Cheney auseinanderzusetzen, seine Reden analysiert usw. Es war also eher ein längerer Prozess als ein einzelner Moment. Irgendwann hatte ich das Gefühl, Cheney tatsächlich "getroffen" zu haben.
Das letzte Mal, als sie zugenommen haben, haben Sie gesagt, dass ihre Tochter ihren „Buddha“-Bauch geliebt hat. Wie war es diesmal?
Diesmal war es mein Sohn. Er fand ihn gemütlich und ist darauf herumgesprungen. Er vermisst ihn jetzt schon ganz schön.
Zuletzt hat ja Gary Oldman eine unglaubliche Transformation als "Winston Churchill" hingelegt. Haben Sie sich bei Ihrem alten Weggefährten Tipps geholt?
CB: Er ist ein schlauer Darsteller, und war ein großes Vorbild für mich, als ich noch herausfinden wollte, wie ich schauspielern soll und es gleichzeitig genießen kann. Ich hatte natürlich angenommen, dass Gary ebenfalls an Gewicht zugelegt hat, um Churchill zu spielen. Ich habe ihn dann angerufen und gefragt: "Wie viel Gewicht hast du wirklich zugenommen?", und er entgegnete: "Gar keins!" (lacht). Das hat mich ziemlich fertig gemacht. Aber ich wollte natürlich nichts anfangen und es dann einfach abbrechen.
Gibt es etwas, dass sie an Dick Cheney schätzen?
CB: Als seine Tochter Mary ihr Coming-Out hatte, hat Dick Cheney sie ohne Zögern unterstützt. Das ist wohl etwas, das niemand in Frage stellen würde. Vor allem, weil das im Grunde ein Affront gegen die Parteilpolitik der Republikaner war. Bei meiner Recherche habe ich mit vielen Menschen sprechen können und alle haben ihn als hingebungsvollen Vater und Ehemann beschrieben. Das macht die öffentliche Fehde zwischen ihm und seiner Tochter gegen Ende seiner Laufbahn umso herzzerreißender.
Allerdings haben Sie Dick Cheney auch schon als "Darth Vader" bezeichnet…
CB: [...] Er nennt sich selbst Darth Vader! Er liebt es. Er hat seinen Hund einmal als Sith-Lord verkleidet. Das Kinderzimmer seiner Enkel ist dank ihm voll von Darth Vader-Utensilien. Er soll sogar einmal seine Gehilfen reingelegt haben, als er in seinem Büro in voller Darth Vader-Montur am Schreibtisch saß. Es gibt auch einige Reden auf YouTube, in denen er sich selbst als „Darth Vader“ bezeichnet und darüber scherzt.
Es gibt eine Szene im Film, in der Donald Rumsfeld und Dick Cheney vor Richard Nixons Büro im Weißen Haus stehen und Cheney zum ersten Mal die immense Macht spürt, die aus diesem Büro nach außen dringt. Konnten Sie in der Rolle von Cheney vielleicht zum ersten Mal begreifen, wie es ist, solch eine große Verantwortung zu besitzen?
CB: Ich konnte definitiv diese Art von verführerischem Rauschzustand nachvollziehen, den diese Macht in ihm ausgelöst hat. Gar nicht auf eine diabolische Art und Weise, sondern als Machthaber an der vordersten Spitze dieses Imperiums. Als wir diese Szene gedreht haben, hatte ich richtig Gänsehaut, weil das Set so großartig war und man als Schauspieler tatsächlich manchmal diese Grenze überschreitet und vergisst, dass man nicht wirklich dort ist.
Was ich allerdings nie nachvollziehen konnte, war die Anziehung von beständiger Macht. Ich konnte diese Gänsehaut verursachende Vorstellung von Macht nachvollziehen, aber nicht die Gewissheit, 24 Stunden am Tag über diese unglaubliche Verantwortung zu verfügen. Ich hab wirklich versucht, zu verstehen, wie sich das anfühlen muss, habe es aber nicht fassen können. Für mich hat sich das eher wie eine unglaubliche Bürde angefühlt, die man lieber an jemanden abgeben würde, weil man selbst nicht fähig ist, sie zu tragen.
Gleichzeitig hat es mir vor Augen geführt, dass wir sehr vorsichtig damit sein sollten, wem wir diese Macht wirklich anvertrauen. Egal, welcher politischen Ideologie man folgt. Es gibt eben die Macht immens viel Gutes zu tun und gleichzeitig auch eine Art von Macht, die einen aus Eigeninteresse handeln lässt. Es laufen viele Dick Cheneys auf der Welt herum, aber wir bemerken es leider erst, wenn diese Menschen irgendwann Zugang zu Macht bekommen.
Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, dass Sie Donald Trump für weniger gefährlich halten als Dick Cheney. Wie haben Sie das gemeint?
CB: Ein intelligenter Mann mit Verständnis ist immer gefährlicher als jemand, der impulsiv und laut ist. Ich behaupte allerdings nicht, dass Trump nicht gefährlich ist. Das ist er definitiv! Unglücklicherweise ist er zu vielen Dingen im Stande. Es ist allerdings gar kein Vergleich zu Dick Cheneys Fähigkeiten und dessen Verständnis von Regierungsarbeit. Cheneys politische Manöver und sein Schachspiel sind beispiellos. Glauben Sie etwa, dass Trump ein guter Schachspieler ist?
Sie haben Trump einmal selbst getroffen, oder?
CB: Das war bei den Dreharbeiten zu "Batman". Ich war als Bruce Wayne verkleidet. Es war sehr 'trumpesk'. Ich hatte eine rote Fliege an, meine Haare waren gegelt und ich sah wie Don Jr. aus. Wir haben im Trump Tower gefilmt, der im Film dann zum Wayne Tower umgewandelt wurde. Er ist dann irgendwann gelandet und hat die Produzenten und uns eingeladen, zu ihm zu kommen.
Wie mögen Ihre Kinder eigentlich Ihren großen Superheldenauftritt?
CB: Sie haben mich noch nie als Batman gesehen!
Ihre Kinder haben Sie noch nie als Batman gesehen? Warum nicht?
CB: Wir verbringen unsere Zeit eben nicht gerne damit, mich anzuschauen (lacht).
Gibt es irgendeinen Politiker, den Sie bewundern?
CB: Ich bin unter Maggie Thatcher groß geworden, deshalb hielt meine Familie nicht sonderlich viel davon, Politiker zu „bewundern“. Ich bin deshalb ein ziemlicher Zyniker, aber weiß natürlich, dass viele Politiker aus den richtigen Gründen handeln. Gleichzeitig ist es eben ein unheimlich verführerischer Job. Es gibt da diese tolle Szene im Film, in der Cheeney auf den Schreibtisch im Oval Office schaut und nur als Silhouette zu sehen ist. Und dann springt der Film zu einer Szene aus der Vergangenheit, als [die Cheneys] als Familie Mac’n’Cheese gemacht haben. Für mich hält das dem Ganzen einen Spiegel vor: Diese ständigen Veränderungen, bis man realisiert, wie stark man sich im Leben tatsächlich verändert hat. Das finde ich an diesem Film so großartig: Er geht über Cheney, seine Entscheidungen und wie er die politische Landschaft verändert hat hinaus. Es ist eben zeitgleich auch eine Reflexion von uns selbst: Wer wir als Menschen sind, wer wir als Familie sind und auch wer wir als Nation sind.
Warum war es Ihnen wichtig, einen amerikanischen Pass zu besitzen?
CB: Ich wollte wählen können. Ich will nirgendwo leben, wo ich keine Möglichkeit habe, Einfluss zu nehmen. Soviel ich weiß, bedeutet der griechische Ursprung von „Idiot“: jemand, der nicht an der Gesellschaft teilnimmt. Ich will kein Idiot sein!
Was ist die wichtigste Eigenschaft in ihrem Beruf?
CB: Unendliche Neugier. Was mich am Schauspiel fasziniert, und das ist vielleicht ganz anders als bei anderen Kollegen, ist, dass ich bei jeder einzelnen Rolle, die ich annehme, am Anfang keine Ahnung habe, wie ich das überhaupt schaffen soll. Viele Leute bezeichnen mich als „Method Actor“, aber so sehe ich mich überhaupt nicht. Das ist eine Form des Schauspiels, die eine gewisse Technik und auch ein gewisses Studium erfordert und ich habe ja nie Schauspiel gelernt! Ich bin ein intuitiver Schauspieler und wachse meist an meinen Aufgaben.
Ich bin kein Darsteller, der irgendwelche vorgefertigten Tricks hat, um so eine Rolle zu meistern. Ich denke mir stattdessen jedes Mal: „Verdammt noch mal. Wie zum Teufel soll ich diese Person jemals porträtieren können?“. Aber genau das entfacht bei mir immer wieder die Faszination an diesem Beruf. Es fühlt sich immer wieder an, wie eine neue Karriere.
Sind Ihnen irgendwelche Gemeinsamkeiten zwischen Ihnen und Ihren Figuren wichtig?
CB:Auch da gibt es viele gute Schauspieler, die sagen, dass die jeweilige Rolle eine Erweiterung des Selbst darstellt. Ich hingegen will mich selbst komplett rausnehmen, um meine Figur so gut wie möglich erschaffen zu können. Wir haben vielleicht unterschiedliche Ziele, aber am Ende geht es eben darum, was man sieht.
Sie haben den Film ja schon in mehreren Ländern vorgestellt: Reagieren die Menschen unterschiedlich auf den Film?
CB:Für mich war es sehr spannend, den Film mit einem deutschen Publikum bei der Berlinale zu schauen. Ich habe einige Szenen mit anderen Augen wahrgenommen: Diese Archivaufnahmen von Flüchtlingen, die mit dem Boot ankommen und in Deutschland einfach eine ganz andere Rolle spielen als in den USA. Diese unterschiedlichen Perspektiven fasziniert mich sehr. Natürlich: Cheney ist in vielerlei Hinsicht ein amerikanisches „Produkt“. Aber sein Einfluss ist global.
Was wird Dick Cheney sagen, wenn er sie als Dick Cheney sieht?
CB: Ich bin nicht sicher, ob er sich den Film überhaupt anschauen wird. Er ist natürlich ziemlich dickhäutig, aber wird das möglicherweise als respektlos ansehen. Diese Zeile, die wir integriert haben: „Wenn du berühmt sein willst, dann werde ein Filmstar!“. Als er das sagt, formuliert er das immer mit einer gewissen Respektlosigkeit. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen, dass er uns jemals die Genugtuung geben würde zuzugeben, den Film gesehen zu haben. Es wäre eine große Überraschung.
Vielleicht ruft er Sie ja mal an und will bei einem Drink mit Ihnen darüber reden?
CB: Es wäre sicher ein spannender Drink!
Interview & Text von: David Rams
Vice - Der zweite Mann startet am 21. Februar 2019 in den deutschen Kinos und lief im Berlinale 2019-Wettbewerb außer Konkurrenz. Einen Trailer zum Film seht ihr