Ein Kunstdieb im goldenen Käfig: In „Inside“ manövriert sich Willem Dafoe nicht nur in eine wertvolle Kunstsammlung, sondern vor allem in eine existenzialistische Krise.
Findet Nemo! Wie ein Clownfisch in einem riesigen kunstvollen Aquarium muss sich „Nemo“, passenderweise der Name unseres Titelhelden in Vasilis Katsoupis‘ „Inside“ tatsächlich fühlen. Eigentlich sollte er ja nur seinen Job machen: Abgesetzt per Hubschrauber auf einem schicken Penthouse-Gebäude in der gigantischen New Yorker Skyline sollte er fünf Gemälde von Egon Schiele aus der Sammlung eines offensichtlich sehr wohlhabenden Kunstsammlers entwenden. Doch ausgerechnet das Selbstporträt des Künstlers macht ihm einen Strich durch die Rechnung: Die komplexe Sicherheitstechnologie des Gebäudes wirft einen fatalen Fehler aus, sperrt Nemo in das riesige und kunstvolle, gleichzeitig aber klinisch kühle Appartement ein. Und der Hausherr befindet sich natürlich gerade auf einem Business-Trip im Nirgendwo. Baldige Rückkehr? Äußerst unwahrscheinlich…
Inside: Große Metaphern, größerer Dafoe
Panzerglas außen, Isolation drinnen: Nemo versucht sich nach Kräften einen Weg nach draußen zu bahnen. Ein sehr lebendiger und schwitzender Körper, der sich gegen die kalten Betonwände und das Panzerglas wirft – doch jeglicher Versuch auszubrechen, scheint vergeblich zu sein. Im Inneren ist er dann auch noch den Gezeiten ausgesetzt, die die defekte Haustechnik quasi eigenständig vorgibt. Beinahe wie ein Hohn wirken die gewaltigen lichtdurchfluteten Panorama-Fenster: Da draußen tobt ein Unwetter, das eine verletzte Taube zum Überlebenskampf zwingt. Im Inneren muss er das Kondenswasser des Kühlschranks ablecken, weil die Klimaanlage den Raum auf tropische Temperaturen aufheizt.
Es wird schon deutlich: „Inside“ geizt wahrlich nicht mit großen Metaphern und mit existenzialistischen Krisen, die weit über Kunst, Architektur und Luxus hinausgehen. Der griechische Werbefilmer Vasilis Katsoupis konstruiert in seinem Debütfilm ein cleveres und sehr schick inszeniertes Szenario, das natürlich für Hauptdarsteller Willem Dafoe ausgelegt zu sein scheint. Minute um Minute, Tag um Tag beginnt Dafoe als Nemo sich selbst die Kunst anzueignen und zu seinen eigenen Zwecken zu entfremden – und es ist größtenteils eine Freude ihm dabei zuzusehen.
Inside: Eine schmerzhafte Erinnerung an die Folgen von Selbstisolation
Nach fast drei Jahren Pandemie ist „Inside“ auch eine bittersüße Erinnerung daran, wie stark der Raum den Menschen auch determinieren kann. Während bspw. Comedian Bo Burnham in seinem „Inside“ selbstironisch die Instagram- und Hipster-Kultur auseinandernimmt und dabei gleichzeitig und eindringlich auch den mentalen Preis benennt, den eine zwangsläufige Selbstisolation fordern kann, ist Nemo frei von jeglicher Selbstreflexion. Sein einziger sozialer Kontakt nach die ständig rotierenden Überwachungskameras im Gebäude. Sein großes soziales Highlight bleibt die sandwichfutternde Reinigungskraft, die manchmal heimlich eine Kippe raucht. Es tut weh das Schillern in seinem Auge zu sehen, während er das letzte, vom Schimmel befreite Häppchen mit Kaviar genüsslich verschlingt und sich freut seine „Seelenverwandte“ im TV zu sehen.
„Inside“ ist ein tragisch-komisches Kammerspiel mit einem exzellenten Willem Dafoe. Zwar kann das Drehbuch den Film nicht über die komplette Spielzeit tragen, doch die gelungene Inszenierung und die starken Metaphern können ein paar dramaturgische Hänger definitiv gut überpinseln.
"Inside" feiert im Panorama der Berlinale 2023 seine Weltpremiere. Der Film startet am 16. März 2023 in den deutschen Kinos. Den Trailer zum Film seht ihr hier: