Die drei Regisseure Henk Handloegten, Achim von Borries und Tom Tykwer blicken auf drei sehr erfolgreiche Staffeln "Babylon Berlin" zurück. Am 1. Oktober startet endlich die 4. Staffel im Free-TV! Fans können sich auf eine Meisterleistung freuen. Im exklusiven Interview spricht das Trio unter anderem über die Herausforderungen, "Babylon Berlin" weiterhin so spannend und neuartig zu gestalten wie die vorherigen Staffeln und warum dafür eine "Frischzellen-Kur" notwendig war.
Die vierte Staffel "Babylon Berlin" basiert auf dem Roman „Goldstein“ von Volker Kutscher. In den neuen Folgen treffen wir auch viele bekannte Figuren und erneut grandiose Szenenbilder: Schaukämpfe in den Boxclubs der Unterwelt, schweißtreibende Tanzmarathons im Moka Efti und die Katakomben der Roten Burg, dem Polizeipräsidium, in dem alle Fäden zusammenlaufen. Gleichzeitig wirft die vierte Staffel einen ganz neuen Blick auf das Pulverfass Berlin. Was das genau bedeutet, erfahren die Fans nun in der ARDMediathek, in welcher die neuen Folgen seit dem 29. September 2023 zur Verfügung stehen, sowie ab dem 1. Oktober im Ersten, wenn die Free-TV-Premiere erfolgt.
Ein Jahr vorher wurde die neue Staffel zum ersten Mal bei Sky ausgestrahlt. Damals trafen wir die drei Regisseure Henk Handloegten, Achim von Borries und Tom Tykwer zum Interview mit TVMovie.de und sprachen mit ihnen über ihre besondere Zusammenarbeit, Parallelen zu heutigen Geschehnissen und die Aussicht auf eine fünfte Staffel. Hier lest ihr, was sie uns 2022 über die neuen Folgen verrieten:
TV Movie: In der 4. Staffel rückt die Präsenz der SA und Nationalsozialismus unter anderem in den Vordergrund. Euch war es wichtig, keine bereits bekannten Szenen zu zeigen, die zu Klischees geworden sind. Wie habt ihr das geschafft?
Henk Handloegten: Die SA und die NSDAP sind im Gegensatz anderen Handlungssträngen von Babylon Berlin durch andere Erzählungen sehr gut dokumentiert. Die Flügelkämpfe innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung wurden allerdings noch nicht oft beleuchtet. Was wäre passiert, wenn sich die Nazis gegenseitig erledigt hätten? Die Gelegenheit dazu war da: Wir erzählen sie anhand des sogenannten „Stennes-Putsches“. Der SA-Oberführer Walther Stennes wollte Hitler als Kopf der Bewegung absetzen. Und zwar schon 1931.
In dieser Staffel waren zwei Co-Autorinnen Bettine von Borries und Khyana el Bitar mit im Writers Room – wie war diese Zusammenarbeit?
Achim von Borries: Das war eine Frischzellen-Kur. Wir drei sind jetzt schon lange dabei und während wir noch am Schnitt der dritten Staffel waren, haben sich die beiden erfahrenen Autorinnen eingearbeitet. Der gemeinsame Prozess vom Finden und Suchen der Geschichten war eine große Bereicherung.
Wie eng wurde sich mit der 4. Staffel an die Romanvorlage „Goldstein“ von Volker Kutscher gehalten?
Tom Tykwer: Das Prinzip der Serie ist ein freier Umgang mit der Romanvorlage. Wir haben einen Parallelkosmos entwickelt, der sich mal annähert, aber auch seine eigenen Wege geht. Das hat sich als sehr fruchtbare und interessante Co-Existenz erwiesen. Wir lassen der Literatur ihren Raum und wir haben unseren filmischen Raum.
Die Schwester von Charlotte nimmt in der vierten Staffel beispielsweise eine neue Entwicklung an, welche wir mit einer Person aus dem Kutscher-Roman verknüpft haben. Das ist ein komplexes Gewebe, was uns irre Spaß macht. Wir haben auch die Freiheit zu entscheiden, welche Handlungen wir weiterverfolgen oder anders vertiefen wollen und gleichzeitig dem Geist des Romans treu bleiben.
Ihr wurdet von den Hauptdarsteller:innen als ein hingebungsvolles, inspirierendes Trio beschrieben. Jeder von euch übernimmt Teile des Drehs – was habt ihr in der ganzen Zeit voneinander lernen können?
Tom Tykwer: Wir haben vor allem gelernt, wie sehr die Serie von dieser Arbeitsweise profitiert. Es ist wahnsinnig fruchtbar, so viel gestalterische Energie zu bündeln und jede Stimme zu Wort kommen zu lassen. Das bringt auch Herausforderungen mit sich, weil man selbst auch andere Impulse hat. Aber gerade dann haben wir gelernt, nochmal mehr zuzuhören – denn die Kraft der Serie liegt darin, dass wir einen Weg gefunden haben, unser Ego vor der Tür abzustellen. Klar kommt das Ego auch mal wieder rein und dann schieben wir es wieder raus.
Ein gutes Beispiel ist das Moka Efti – schon in den ersten Staffeln ein zentraler Ort. Ich selbst habe dort viel Zeit verbracht und viel gedreht. In dieser Staffel war es wichtig, dass Henk diesmal dort den Tanzmarathon dreht, bei dem die Menschen ihren letzten Pfennig geben, sich teilweise bis zum Tode tanzen, um mit dem Preis ihr Leben zu retten. Im Traum wäre ich nicht drauf gekommen, es so zu drehen, wie Henk es gemacht hat. Es ist so anders und erstrahlt ganz neuartig. Ich hätte einfach das gleiche nochmal gemacht. Was nochmal zeigt, dass die Serie so viel langweiliger geworden wäre, wenn nur einer von uns sie gedreht hätte.
Henk Handloegten: Wir wollen auf keinen Fall in einen ‚Dass haben wir immer so gemacht-Modus‘ fallen.
Das kann man leider zu oft bei Serien beobachten, dass mit der Zeit die Qualität abnimmt, die Luft ausgeht und immer wieder das Gleiche erzählt wird …
Henk Handloegten: Das war zum Beispiel der Grund, weswegen wir das Moka Efti in Staffel 3 geflutet und damit nicht erzählt hatten. Wir wollten uns selber keine Konkurrenz zu der berühmten Tanzszene in Staffel 1 machen. Uns musste für diesen Ort etwas sehr Spezifisches und Neues einfallen. Dann stießen wir auf das Phänomen des „Tanzmarathons“, den es zu dieser Zeit tatsächlich gegeben hatte: Die verarmten Menschen tanzten für eine Tanzprämie von 1000 Reichsmark bis zur völligen Erschöpfung und manchmal sogar bis zum Tod. Das schien uns wie ein Symbol der letzten Jahre der Weimarer Republik und wir konnten zurückkehren in unseren Tanztempel.
Über welche neuen Drehorte habt ihr euch besonders gefreut?
Achim von Borries: Wir wollen ein Portrait der Stadt zeigen und dafür sind wir diesmal unter anderem in den Sportpalast, wo Zehntausende Zuschauer Boxkämpfe oder die 6-Tage-Rennen verfolgt haben. Dort wollten wir immer mal hin, aber das muss natürlich mit der Geschichte zusammenpassen. Wir gehen in die Welt des Scheunenviertels, wo noch jiddisch gesprochen wird – ganz anders als die deutschen Juden, die wir vorher gezeigt haben. Wir gehen das erste Mal auf den Kudamm, wo die schrecklichen SA-Krawalle stattfinden. Wir versuchen, irgendwann, wenn wir mal fertig sind, die Stadt wieder auferstehen zu lassen.
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Stichwort SA-Krawalle: Mein Geschichtsprofessor hat mal gesagt „Geschichte wiederholt sich“. Gab es bei der Recherche verblüffende Momente, bei denen euch Parallelen zur heutigen Zeit aufgefallen sind?
Achim von Borries: Nur einen?!
Henk Handloegten: Ich würde dem Professor insofern widersprechen, dass sich nicht Geschichte wiederholt, aber Muster immer wieder auftauchen. Ganz simpel gesagt: Nach einer sehr permissiven und freiheitlichen Zeit, folgt häufig eine autoritäre oder diktatorische. Je komplexer und unkontrollierbarer die Realität, desto größer der Wunsch nach Vereinfachung. Das sind Zyklen, die man jetzt gerade auch wieder beobachten kann.
Achim von Borries: Das Gute ist aber, dass wir damit nicht angetreten sind, sondern wir die Weimarer Zeit erzählen wollten. Als Künstler war ich froh, als politisch denkender Mensch bin ich entsetzt. Ich hätte es gerne anders gehabt.
Der Song „Ein Tag wie Gold“ zieht sich durch die Staffel. Im Gegensatz zum Vorgänger ein sehr fröhlicher Sound. Warum habt ihr euch hierfür entschieden?
Henk Handloegten: Je schlechter die Zeiten, desto leichter die Musik. Der Text ist galgen-humorig. Wir befinden uns jetzt im Jahr 1931, die Wirtschaftskrise hat alle Bevölkerungsschichten bis auf die oberen Zehntausend erreicht, den Leuten geht es wirklich schlecht, sie hungern und frieren, aber sie tanzen. Denn Tanzen kostet nichts. Der Text des Songs spiegelt genau das wider: ‚Was kümmern uns die Bilanzen, lass‘ uns tanzen‘.
Tom Tykwer: Der Song taucht immer wieder in dem Film auf, in jeder Form – fast wie ein Mantra. So wurde der Song auch von Annette Humpe und Max Raabe gedacht: Sich weiszumachen, dass der Abgrund verschwindet, wenn er durch Tanzen ignoriert wird. Bis zum Schluss ist die Sehnsucht nach Fröhlichkeit und Leichtigkeit immer wieder thematisiert. Nach einer freieren und unbeschwerten Zeit.
Ihr habt es zu Anfang schon selbst angeteasert: „…wenn ihr irgendwann mal fertig seid.“ Können sich die Fans auf eine nächste Staffel freuen?
Achim Borries: Jede Person, die die Serie gesehen hat, ist klar, dass wir noch nicht fertig sind. Ich vergleiche das gerne mit dem Film „Titanic“: Wenn man schon vor dem Eisberg aufhört, hat man was falsch gemacht. Jeder Zuschauer weiß, worauf es zusteuert. Aber wir stecken viel Arbeit rein, den Eisberg noch nicht zu treffen und die Illusion und Hoffnung zu bewahren, dass alles noch anders ausgehen kann – und so genau weiß man es bei „Babylon Berlin“ ja auch nie …
Text und Interview: Antonia Hartmann
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