Seit „Der Brutalist“ im September 2024 erstmals gezeigt wurde, überschlagen sich Kritiker mit Lob – zurecht. Doch vor deinem Kinobesuch solltest du etwas wissen ...
Jeder kennt es: das Gefühl großer Erwartungen, das nach dem Kinobesuch einer dumpfen Enttäuschung weichen muss. Doch Erlösung naht, denn mit „Der Brutalist“ hat uns Brady Corbet einen Film geschenkt, der dem Erwartungsdruck des Publikums standhält. Genau wie das monströse Gebäude, das Protagonist László Tóth (Adrien Brody) für seinen Auftraggeber Harrison Lee Van Buren (Guy Pearce) bauen soll, hämmert sich das Geschichtsdrama wie ein Betonbau in die Landschaft der Filmkunst: kantig, massiv, herausfordernd.
Mit Adrien Brody in der Hauptrolle erzählt die epische Geschichte von Identitätssuche, Migration, Kreativität und dem verzweifelten Ringen um einen Platz in der Geschichte. Doch der Film ist – wenn auch angelehnt an den Werdegang und die Erfahrungen prominenter Architekten wie Marcel Breuer oder Mies van der Rohe – weder Biopic noch reines Künstlerdrama. Er ist vielmehr eine Reflexion über das 20. Jahrhundert, seine Ideologien und die Spuren, die es in Gesellschaft und Stein hinterlassen hat.
László Tóths Architektur wirft die Schatten seiner Vergangenheit
Nach seiner Befreiung aus dem KZ Buchenwald flieht László in die Vereinigten Staaten. Erst dort erfährt er, dass seine Frau Erzsébet (Felicity Jones) überlebt hat. Doch die Erleichterung weicht schnell der Erkenntnis, dass ihm auch im „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ nicht jeder wohlgesonnen ist. Als Tóth das Angebot des reichen Industriellen Harrison Lee Van Buren annimmt, scheint es das Schicksal gut mit ihm zu meinen. Stattdessen beginnt ein jahrzehntelanger Pakt, der seinen Schaffensdrang in einen Käfig aus Auflagen und Machtspielen sperrt. Der amerikanische Traum entpuppt sich als zermürbende Verhandlung zwischen künstlerischer Integrität und finanzieller Abhängigkeit.
Adrien Brody, Felicity Jones und Guy Pearce liefern eindringliche Performances. Besonders Brody übertrifft sich selbst und spielt Tóth als Mann, der sich von seiner eigenen Vision verschlucken lässt. Die kühne, rohe und kompromisslose Architektur des tragischen Helden wird zur visuellen Metapher seines Charakters. Mit jedem Stein, der seinen Platz findet, wird deutlicher: Lászlós neues Leben ist für ihn kein Fundament, sondern ein Irrgarten voller Gefahren. Auf einer Geschäftsreise nach Italien eskaliert das jahrelange Ringen um Kontrolle mit Van Buren, als dieser ihn körperlich dominieren und endgültig seelisch brechen will ...
Beton als Schicksal – Die visuelle Sprache von „Der Brutalist“
Kameramann Lol Crawley fängt „Der Brutalist“ mit einer Bildsprache ein, die so streng und gewaltig ist wie die Bauten, die Tóth entwirft. Die karge Ästhetik unterstreicht die Idee eines Mannes, der in der Vergangenheit gefangen ist. Lange Einstellungen auf das monumentale, menschenfeindliche Gebäude, das eigentlich ein Ort der Begegnung sein soll, zeichnen das Bild eines Künstlers, der Schönheit in der Härte sucht.
Brady Corbet, der das Drehbuch mit seiner Lebensgefährtin Mona Fastvold geschrieben hat, inszeniert den Film in klar strukturierten Kapiteln, die verschiedene Phasen in Tóths Leben markieren. Ouvertüre, zwei Hauptteile, Intermezzo und Epilog – jeder Abschnitt ist präzise komponiert. Besonders viel Diskussion löste die „Intermission“ aus, eine im Film verankerte 15-minütige Pause, die Corbet Kinobesuchern und -Betreibern aufzwingt. „Es ist lustig, dass sie mehr Aufmerksamkeit bekommen hat, als wir erwartet hatten. Mir persönlich fällt es schwer, dreieinhalb Stunden stillzusitzen, also brauchte ich sie. Und es war eine Entscheidung für die Öffentlichkeit“, erklärte er lachend gegenüber „IndieWire“.
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„Der Brutalist“: Ein Film über Macht, Kunst und Selbstaufgabe
Was „Der Brutalist“ so eindrucksvoll macht, ist sein doppelbödiges Spiel mit den Themen Kontrolle und Kapitulation. Harrison Lee Van Buren ist nicht nur ein klassischer Mäzen, sondern ein Puppenspieler, der Tóth nach und nach seiner Autonomie beraubt. Guy Pearce verleiht ihm eine faszinierende Ambivalenz: freundlich, großzügig, aber mit einer unterschwelligen Bedrohlichkeit, die von Szene zu Szene wächst.
Felicity Jones als Erzsébet fungiert als moralisches Zentrum des Films – eine Frau, die erkennt, dass Tóth mehr und mehr zu einem Schatten seiner selbst wird. „Versprich mir, dass es dich nicht verrückt machen wird“, fleht sie, als es eigentlich schon zu spät ist. Ihre Rolle ist weit mehr als die der leidenden Ehefrau – sie ist die Stimme der Vernunft in einer Welt, in der überdimensionale Egos sich gegenseitig zu zerstören drohen.
Fazit: Ein forderndes Meisterwerk
„Der Brutalist“ ist kein leichter Film. Er verlangt Geduld und nimmt sich Zeit, seine Themen auszubreiten wie sorgfältige und komplexe Baupläne. Mal fühlt er sich so kalt an wie der Beton, den er verherrlicht, mal so lichtdurchflutet wie die Bibliothek, die László zu Beginn für Van Buren entwirft. Doch genau darin liegt seine Kraft: Corbet hat einen Film geschaffen, der Architektur als existenzielles Drama begreift. Vorm Gang ins Kino sollte man das bedenken, einen Tag wählen, an der man sich darauf einlassen kann. Wie jeder große Bau erfordert der Film Arbeit, um verstanden zu werden – aber wer sich darauf einlässt, wird mit einer filmischen Erfahrung belohnt, die lange nachhallt.
„Der Brutalist“ läuft seit dem 30. Januar 2025 in den deutschen Kinos. Den Trailer seht ihr hier: