Zahlreiche Künstler, Barcelona und das Wetter zeigten sich beim Primavera Sound 2018 in Bestform. Warum das Ausnahmefestival den Besuch definitiv wert ist und wo noch etwas nachgeholfen werden muss, verraten wir in unserem Konzertbericht.
Festivalbericht von David Rams
Es sind die Momente eines Festivals, die jeder nur allzu gut kennt: Man ist seit gefühlt 16 Stunden unterwegs. Die Beine sind schwerer als Blei. Jeder Knochen im Körper ächzt nach Erholung und auch die Aufmerksamkeit gibt langsam aber sicher bedenklich nach. Und doch kommt plötzlich eine Gruppe aus Bristol daher, die gefühlt alle Adrenalin-Reserven des restlichen Wochenendes reaktiviert und eine Performance hinlegt, über die man wohl viele Jahre noch mit einem Grinsen auf den Lippen reden wird.
Spätestens als die IDLES "All I want for Christmas" von Mariah Carey mit Hilfe des enthusiastischen Publikums anstimmen, hat das Festival im beeindruckenden Parc del Fòrum endgültig mein Herz gewonnen. Kein Auftritt hat müde Lebensgeister derart durchgeschüttelt und wiedererweckt wie das famose, wütende Treiben der momentan wohl heißesten Post-Punk Kombo aus Großbritannien. Und der Auftritt der IDLES ist der eindrucksvolle Beweis eines Kommentars, den ich von einem begeisterten Primavera-Fan aufgeschnappt habe: „Beim Primavera Sound hat man das Gefühl, dass alle Künstler wirklich Lust haben auf dem Festival zu spielen.“ Nach einem langen Festivalwochenende kann ich nur unterstreichen, wie Recht derjenige damit hat.
Primavera Sound 2018: Große Auftritte und große Emotionen
Natürlich sind es auch die großen Auftritte des Festivals, die für große Emotionen gesorgt haben: Der Abschied von The National mit "About Today", die die unglaublich berührende Version des "Cherry Tree EP"-Songs dem verstorbenen Frightended Rabbit-Frontmann Scott Hutchison gewidmet haben. Weitere große Augenblicke bescherte uns bspw. Björk mit ihrer unwiderstehlichen audiovisuellen Show (mit Flöten-Overkill), Nick Cave mit seinem Charme und seiner unfassbaren Live-Präsenz sowie die betörende Stimme von Father John Misty. Doch viel beeindruckender war die Tatsache, dass es wahnsinnig schwerfiel wirkliche "Fehlgriffe" zu landen – und das bei einem unglaublichen Line-up von über 200 Künstlern.
Neben dem gewohnt mitreißenden Gute-Laune-Auftritt von Belle & Sebastian konnten Spiritualized im schönen Auditori Rockdelux bereits am Mittwoch ein eindrucksvolles Ausrufezeichen setzen: Mit wunderschönen Visuals und Orchester-Begleitung sorgte ihr Space Rock für einen unvergesslichen und trotz ausverkauftem Haus seltsam intimen Abend. Ebenfalls unvergesslich war einen Tag später das Tribute Konzert von Dustin O’Halloran und dem Echo Collective zu Ehren des verstorbenen (Film-)Komponisten Jóhann Jóhannsson im besagten Auditorium: Zwar war die Location nur zu einem guten Drittel gefüllt, doch die erlebten wohl das emotionalste Konzert des gesamten Primavera Sound 2018. Nicht nur Jóhannsson unglaublich melancholischen Klänge sorgten für das eine oder andere Schluchzen und Tränchen im Publikum - auch der bewegende Abschied vieler Jóhannsson-Weggefährten von ihrem ehemaligen Freund und Kollegen bescherte den Anwesenden viele kollektive Gänsehaut-Momente.
Generell ist es als Primavera-Neuling einfach beeindruckend mitanzusehen, welche Qualität das Festival über den Tag verteilt auffahren kann: Wer um die Mittagszeit bspw. im Primavera Bits-Bereich ein wenig am Strand liegen und tanzen wollte, konnte dabei bspw. den großartigen Sets von Daphni und Four Tet lauschen. Das Primavera Bits-Gelände, das am Abend nur über eine Brücke mit dem Hauptgelände am Parc del Fòrum verbunden ist, hinterließ insgesamt einen zwiespältigen Eindruck: Zwar ist es grundsätzlich positiv, dass sich die knapp 60.000 Besucher pro Tag etwas mehr verteilen können. Doch vor allem die immer wieder abgesperrte und überfüllte Brücke führte zu frustrierenden Staus und teilweise sogar Panikattacken bei anwesenden Festivalgängern. Besonders in der Primetime am Freitag- und Samstagabend hat man sich den Weg rüber lieber zwei Mal überlegt, um nichts zu verpassen.
Primavera 2018: Tolle Organisation, guter Sound, ausbaufähiges Drumherum
Ausbaufähig zeigte sich auch das gastronomische Konzept: Trotz vieler Getränke- bzw. Bierstände musste man teilweise 30 Minuten oder mehr auf ein Bier warten. Beim Essen gab es zwar viel Auswahl, doch leider auch viele Reinfälle: Nur ein paar Essensstände waren die gesalzenen Festivalpreise auch wirklich wert.
Viel wichtiger war allerdings der grundsätzlich exzellente Sound beim Festival: Besonders die vielschichten und atmosphärischen Gitarrenklänge von Slowdive kamen dank des perfekten Sounds unglaublich gut zur Geltung. Abgefallen ist dabei nur der Klang der "Ray Ban"-Stage, der bei Cigarettes after Sex und Konsorten etwas zu dumpf wirkte. Sound-Fetischisten sollten beim Primavera Sound 2018 dennoch glücklich werden, denn kaum ein anderes Festival kann mit einer derart konstant-guten Abmischung punkten.
Den perfekten Sound konnte man im Parc del Fòrum allerdings nicht immer vollends genießen. Denn das Publikum beim Primavera Sound 2018 mag zwar aus vielen Musik-Liebhabern bestehen, doch die hatten sich auch während der Konzerte einiges zu sagen: Besonders bei den Main-Stages konnte der Geräuschpegel während der Shows manchmal ein ziemlich unangenehmes Niveau erreichen. Das mag zwar während den rockigen Passagen von Nick Cave egal sein, doch bei den leisen und zarten Klängen von Björk ist das vielen Festivalzuschauern durchaus störend aufgefallen, wie man in vielen Foren oder bei Reddit zum Primavera Sound 2018 liest.
Fazit
Trotz redefreudiger Zuschauer, langen Brückenschlangen und ausbaufähiger Gastro ist und bleibt das Primavera Sound 2018 vor allem musikalisch das Maß aller Dinge im europäischen Festival-Zyklus: Bei diesem famosen Line-up ist es kein Wunder, dass den Bands beim Primavera die Spielfreude besonders anzusehen ist. Der rundum starke Sound, das perfekte Wetter und die beeindruckende Location in Barcelona tun dabei ihr Übriges. Für Musikfreunde, die auch nur mit einem Teil des Line-ups warm werden, sei das Primavera Sound auch in Zukunft wärmstens ans Herz gelegt. Auch wegen seiner wundervollen katalanischen Hauptstadt und ihrer Bewohner.