Thriller-Fans aufgepasst! Seit dem 7. September hält die Serie „Liebes Kind“ auf Netflix die Zuschauer:innen in Atem. Über Herausforderungen am Set, kindgerechte Drehbücher und den Release sprachen wir mit den Macher:innen Isabel Kleefeld und Julian Pörksen im Interview.
Es hätte ihre Erlösung sein können. Doch obwohl Lena (Kim Riedle) gleich zu Beginn der Serie „Liebes Kind“ die Flucht gelingt, wird schnell klar, ihrem Peiniger ist sie noch lange nicht entkommen. „Er ist immer bei dir“, flüstert ihr ihre Tochter Hannah (Naila Schuberth) noch im Krankenhaus ins Ohr und steckt ihrer Mama eine scharfe Glasscherbe zu.
Aber von vorn. Denn bevor Lena flieht, erhaschen wir einen Blick darauf, wovor: Mit ihren beiden Kindern Hannah und Jonathan (Sammy Schrein) wird sie in einem fensterlosen Haus auf einem völlig isolierten Grundstück gefangen gehalten. Sie spielen – bis er den Raum betritt. Er, das ist für Hannah und Jonathan Papa. Die drei reihen sich in einer Reihe auf und zeigen ihre Hände vor. Lena weint und wird an die Regeln erinnert – nicht vor den Kindern. Zu den Regeln zählt auch ein fester, täglicher Zeitplan: Vom Aufstehen, Zähne putzen und Toilettengängen bis hin zu Mahlzeiten, Gute-Nacht-Geschichten und dem Schlafen.
Schließlich sieht man Lena im Nachthemd durch den Wald rennen, sie wird von einem Auto angefahren und ins Krankenhaus gebracht. Bei ihr ist Hannah. Und erst nach und nach wird klar, was sich in dem schluderigen Haus wirklich abgespielt hat.
„Liebes Kind“ beginnt, wo andere Thriller enden
Mit „Liebes Kind“ adaptiert Netflix den gleichnamigen Thriller von Romy Hausmann. Und zieht Zuschauer:innen mit exakt demselben Stilmittel in den Bann, wie das Buch einst seine Leser:innen: Den unterschiedlichen Erzählperspektiven, die mitreißen, aufklären und gleichzeitig verwirren. Isabel Kleefeld, Headwriter und Regisseurin der Serie, wurde noch vor Veröffentlichung des Thrillers von einer Verlegerin auf das Material aufmerksam gemacht. Für sie war sofort klar: Daraus muss sie etwas machen. Über die Herausforderungen, einen Bestseller auf den Bildschirm zu übersetzen, kindgerechte Drehbücher, und warum es gerade so spannend ist, die Geschichte von hinten aufzurollen, sprachen wir mit ihr und ihrem Serien-Kollegen Julian Pörksen (Writer und Regisseur) vor der Veröffentlichung vor einigen Wochen im Interview.
TVMovie Online: Isabel, was hat dich sofort von „Liebes Kind“ überzeugt?
Isabel: Damals habe ich den Thriller in einer Nacht gelesen, er ist ein absoluter Pageturner, unvorhersehbar, dramatisch und packend. Ich war irgendwie fest überzeugt, dass das Buch ein Bestseller wird. Romy Hausmann erzählt multiperspektivisch und sehr einfühlsam aus dem Inneren der Figuren heraus. Das hat mich mitgerissen.
Was sind die Herausforderungen dabei, ein Buch ins Visuelle zu übersetzen?
Isabel: Beispielsweise spielt im Roman der gesamte Showdown in einem Raum und der Täter erklärt unter anderem auch seine Motivation. Im Text funktioniert das sehr gut, aber filmisch nicht so. Es gab im Vorfeld zwei Treffen mit Romy Hausmann und sie war sehr offen für Vorschläge und Anpassungen. Als wir ihr die fertigen Drehbücher geschickt haben, war sie damit sehr einverstanden und als sie die finalen Episoden gesehen hat, kam eine extrem enthusiastische Sprachnachricht. Das hat uns erleichtert und froh gemacht.
Die Serie beginnt mit der gelungenen Flucht. Warum ist das aber gerade dramaturgisch so spannend?
Isabel: Die gesamte Serie wird aus der Opferperspektive erzählt. Sie beginnt bewusst mit dem Moment, in dem sie wieder ins Leben, in die Welt zurückkommen. Deshalb ist die Flucht, das Entkommen, der Anfang. Die weiteren Figuren kommen jeweils erst in dem Augenblick dazu, in dem sie von der vorwärtsstrebenden Handlung dazu eingeladen werden. Die Erzählweise selbst setzt den Fokus zwar auf das Innenleben der Charaktere, die aber werden von den Geschehnissen getrieben.
In „Liebes Kind“ geht es um Entführung, Gefangenschaft und Missbrauch. Wie war das für euch beide, euch so extrem mit diesen schweren Themen auseinanderzusetzen?
Julian: Für mich gab es Phasen in der Arbeit am Drehbuch, die ich mitunter bedrückend fand. Wenn man anfängt, zu recherchieren und sich mit echten Fällen und psychologischen Mechanismen beschäftigt. Beim Dreh selbst ist man aber immer in dem Bewusstsein, dass eine Fiktion erzeugt wird, wenn auch eine düstere und erschreckende. Man vergisst ja nie, dass man mit zig anderen Leuten am Set steht, dass da Scheinwerfer hängen, dass da ein Püderchen aufgetragen wird.
Isabel: Was mich eigentlich beschäftigt hat, war der Wunsch, alle gut durch den Dreh zu bekommen. Damit meine ich vor allen Dingen, den Kinderdarsteller:innen ein Umfeld zu geben, das sie schützt und eine Geschichte, die für sie verarbeitbar ist. Wir haben für die Kinder ein extra Drehbuch geschrieben, mit einer eigenen kindgerechten Story. Auch wenn die beiden bereits sehr genau unterscheiden können zwischen dem Schauspiel an sich, der Geschichte, die erzählt wird und ihrer Realität.
Auf was muss bei der Umsetzung eines kindgerechten Drehbuchs besonders geachtet werden?
Isabel: Wir haben die Storylines so kontextualisiert, dass sie zwar eine innere Logik haben, aber aus der Perspektive der Kinderwelt erzählt sind. Als Beispiel: Papa ist kein psychopathischer Täter, sondern Papa ist jemand, der Angst davor hat, dass sich jemand verletzen könnte. Deswegen ist er übertrieben vorsichtig, lässt niemanden raus und kontrolliert zum Beispiel die Hände auf gefährliche Gegenstände. Die Kinder wissen, dass er zwar aus sehr großer Liebe handelt, aber dass die Auswirkungen dieser Liebe falsch sind.
Die beiden Kinderdarsteller:innen habt ihr zuerst gecastet. Warum seid ihr so vorgegangen?
Julian: Die Serie lebt von ein paar Figuren, die die Geschichte tragen. Und zu diesen Figuren gehören eben auch die beiden Kinder und ganz besonders die Figur Hannah. Das ist auch einer der Gründe, warum dieser Stoff so besonders ist, weil wir hier ein Mädchen haben, das im Zentrum steht. Eine Protagonistin, die uns mitnimmt und gleichzeitig sehr rätselhaft ist. Eine Darstellerin zu finden, die diese ungeheure Aufgabe über diese lange Zeit mit der nötigen Disziplin, der Freude und dem richtigen Umfeld spielen kann, ist nicht einfach.
Ihr habt das erste Mal gemeinsam an einem Projekt gearbeitet. Wie seid ihr mit Meinungsverschiedenheiten umgegangen?
Julian: Als wir angefangen haben zu schreiben, haben wir uns aufgeteilt, wer schwerpunktmäßig für welche Drehbücher verantwortlich ist, und uns dann immer wieder getroffen, gesprochen und überlegt. Und dabei konnten wir uns immer ehrlich sagen, was wir gut oder nicht gut fanden und haben dann zusammen überlegt, Ideen entwickelt.
Isabel: Für mich war der Austausch toll, auch weil ich Selbstgespräche langweilig finde (lacht).
Bald ist es so weit, am 7.9. erscheint „Liebes Kind“ auf Netflix. Wie blickt ihr dem Release entgegen?
Isabel: Ich finde es erstmal aufregend, für mich ist es die erste Show auf Netflix, an der ich beteiligt bin. 190 Länder und 15 Sprachen, das ist schon krass.
Julian: Ich freue mich auch darauf, die Serie mal auf Hindi zu sehen, so als Erfahrung. Wie klingt das alles in einer ganz anderen Sprache? Die Chance hat man ja sonst nicht.
Isabel: Wir sind natürlich gespannt, wie die Serie ankommen wird, und freuen uns, wenn es viele Zuschauer:innen geben wird. Aber gleichzeitig sind wir so zufrieden mit dem Ergebnis. Das möchte ich in Erinnerung behalten.
„Liebes Kind“ - hier seht ihr den offiziellen Trailer: