Ohne den Idealismus einer John-Grisham-Verfilmung eignet sich Clint Eastwoods „Juror #2“ als spannende Diskussionsgrundlage.
Erfolgreiche Schauspieler und Regisseure halten sich selten an ein bestimmtes Alter, wenn es um ihren Ruhestand geht. Da sie meist ohnehin nicht auf Rentenzahlungen angewiesen sind, stehen sie vor oder hinter der Kamera, bis sie nicht mehr wollen – oder nicht mehr können. Und während Quentin Tarantino nicht müde wird zu betonen, dass sein nächster Film auch sein letzter sein soll, sind Regisseure wie Clint Eastwood oder Ridley Scott noch im hohen Alter am Set anzutreffen.
Das ist gerade bei Eastwood äußerst beachtlich, feiert der einstige Westernstar dieses Jahr doch bereits seinen 95. Geburtstag. Dieses hohe Alter hat auch zur Folge, dass spätestens seit „The Mule“ aus dem Jahr 2018 jeder neue Film von Clint Eastwood allgemein als „sein letzter Film“ bezeichnet wird. Nicht etwa, weil Eastwood seinen Ruhestand angekündigt hätte, sondern einfach, weil oft angenommen wird, dass ihm die Kraft – und Zeit – fehlen könnte, um einen weiteren Film ins Kino zu bringen.
Auch „Juror #2“ gilt nun inoffiziell als Eastwoods filmischer Abschied. Sollte es so kommen, wäre es ein absolut akzeptabler und sehenswerter Abschluss seiner Filmografie. Auch wenn „Juror #2“ nicht unbedingt Eastwoods persönliche Handschrift erkennen lässt – falls er diese abgesehen vom schwarz-weißen Warner-Bros.-Logo jemals hatte –, ist „Juror #2“ ein tadellos gefilmtes Drama über ein moralisches Dilemma, das einen nach dem Kinobesuch noch längere Zeit beschäftigen wird.
„Juror #2“: Ist die gerechte Entscheidung auch stets die richtige?
Filme über Geschworene müssen sich stets mit „Die 12 Geschworenen“ vergleichen lassen, schließlich überzeugt das Kammerspiel seit Jahrzehnten durch spannende, zeitlose Diskussionen über Vorurteile und Gerechtigkeit. So ein Film für die Ewigkeit wird „Juror #2“ wohl nie werden, doch dafür bringt die Geschichte einen interessanten neuen Kniff mit.
Nur widerwillig tritt der werdende Vater Justin Kemp seinen Dienst als Geschworener in einem Mordfall an. Er soll mit 11 anderen US-Bürgern darüber entscheiden, ob James Michael Sythe für die Ermordung seiner Freundin Kendall Carter verurteilt werden soll. Durch die vorgelegten Indizien und Sythes kriminelle Vergangenheit ist der Fall für die meisten Geschworenen schnell klar. Kemp hingegen befindet sich plötzlich in einer schrecklichen Situation: Er erkennt, dass er selbst durch einen Autounfall, bei dem er bisher von einer Kollision mit einem Reh ausging, für Carters Tod verantwortlich ist.
Nun steckt Kemp in einer moralischen Zwickmühle. Sythe ist zweifellos unschuldig und hat eine Verurteilung nicht verdient, doch ein Geständnis würde Kemp selbst ins Gefängnis bringen. Kann er die anderen Geschworenen also von Sythes Unschuld überzeugen, ohne sich selbst verdächtig zu machen?
„Juror #2“: Hier wird euch nichts vorgekaut
„Juror #2“ ist, wie Eastwoods letzte Filme auch, ein unaufgeregtes Drama, das die Geschichte in den Mittelpunkt stellt. Als innerlich zerrissener Justin Kemp macht Nicolas Hoult („Nosferatu“) eine gute Figur und überlässt es dem Publikum, wie viele Sympathien man für ihn empfinden will. Auch die Frage, was in der dargestellten Situation ein Happy End wäre, muss jeder für sich selbst beantworten.
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Mit einer Laufzeit von knapp zwei Stunden hat der Film eine angenehme Länge, wirkt gegen Ende, kurz vor der letzten Gerichtsverhandlung, aber ein wenig übereilt. Zwei oder drei weitere Szenen hätten dem Film hier gutgetan, um den Ausgang noch besser nachvollziehen zu können.
In den Achtziger- und Neunzigerjahren waren Gerichtfilme dieser Art häufig vertreten und „Juror #2“ hätte damals kaum große Wellen geschlagen. Doch heutzutage, wo Dramen für Erwachsene mit mittlerem Budget und ohne große Schauwerte fast komplett verschwunden sind, hat „Juror #2“ etwas gleichermaßen Erfrischendes und Altmodisches. Ein interessanter, zu Diskussionen anregender Film.