Skaten wie die Großen: Mit Mid90s liefert Darsteller Jonah Hill ein bemerkenswertes Regiedebüt ab und lässt seinen Protagonisten im Kreise seiner Skater-Familie erwachsen werden. Im Interview verriet er uns nicht nur, inwieweit sein Film autobiografisch ist, sondern auch, welcher Regie-Kollege ihn von der Geschichte überzeugt hat.
Es sind die neugierigen und hoffnungsvollen Blicke des jungen Stevie, die einem am Ende von Mid90s nicht mehr aus dem Kopf gehen. Die wenigsten haben von Regiedebütant Jonah Hill einen dermaßen authentischen und sensiblen Film darüber erwartet, wie es sich anfühlen muss, im L.A. der 90er aufzuwachsen und ein paar coole Skateboard-Kids aus der Nachbarschaft anzuhimmeln. Als Stevie im Film nach unfassbar viel Training und Geduld seinen ersten „Kickflip“ auf dem Skateboard steht, könnte sein Stolz kaum größer sein. Und ganz ähnlich dürfte es sich für den Neu-Regisseur angefühlt haben, als sein beim Toronto International Film Festival uraufgeführter Beitrag von Publikum und den Kritikern gleichermaßen gefeiert wurde. Jonah Hill, bekannt vor allem durch seine Comedy-Rollen in „Superbad“ und „21 Jump Street“, ist endgültig erwachsen geworden – nicht nur als Darsteller in Filmen wie „The Wolf of Wall Street“ oder „Moneyball“, sondern auch als Regiedebütant.
Doch sein neues Talent ist Hill nicht einfach zugeflogen, es ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit. Und der Schauspieler hat sich dabei lange Zeit ganz ähnlich wie „Stevie“ zu Beginn von Mid90s gefühlt, als er mit Regie-Größen wie Martin Scorsese, Quentin Tarantino und den Coen-Brüder zusammenarbeitete: „Was das angeht, hatte ich das Glück, einen Sitz in der ersten Reihe zu bekomme. Ich war immer neugierig und habe viele Fragen gestellt. Und natürlich habe ich vorher gefragt, ob es okay ist, dass ich sie stelle. Aber oft ging es vor allem darum, aufmerksam zu beobachten, wie große Filmemacher mit Problemen umgehen. Wie haben sie gewusst, in welche Richtung die Szene steuern soll? Wie haben sie Probleme beim Dreh gelöst? Ich hatte nicht nur das Glück, dass ich tolle Mentoren hatte, sondern auch, dass sie unglaublich geduldig mit mir waren. Besonders als ich noch jung war“, so Jonah Hill im TVMovie.de-Interview zu Mid90s.
Mid90s: ER hat Jonah Hill inspiriert | So autobiografisch ist der Film wirklich
Es waren also wichtige Lebenslektionen, die Jonah Hill dazu gebracht haben, sich selbst an sein Regiedebüt zu wagen. Doch die eigentliche Idee - wie die Story um Stevie, Fuckshit oder Ray aussehen sollte - brachte erst der Input eines anderen langjährigen Kollaborateurs: "Ich habe gemeinsam mit Spike Jonze ein Stück geschrieben. Er ist für mich ein Mentor und ein langjähriger Weggefährte. Der Film war ursprünglich anders angedacht. Aber ich kam immer wieder auf diesen jungen Skateboarder zurück, der gemeinsam mit seinen Freunden skatet."
Mit der Skater-Szene im L.A. der 1990er Jahre kannte sich Hill bestens aus, schließlich war er in seiner Jugend - ähnlich wie sein Protagonist Stevie - auch mit seinem Skateboard „verwachsen“. Doch trotz der offensichtlichen Parallelen basiert der Film nicht nur auf seinen eigenen Erfahrungen: „Der Film ist nicht direkt autobiografisch, aber ich habe viele Dinge erlebt, die auch Stevie im Film durchmacht. Einige Dinge sind mir persönlich passiert. Wiederum andere Sachen haben Freunde von mir gemacht. Ich habe mir einige Dinge vorgestellt, die meinen Freunden hätten passieren können. Und natürlich ist vieles auch einfach nur ausgedacht. Schließlich sind das Figuren, die ich selbst erschaffen habe“, so Jonah Hill.
Mid90s: So hat Jonah Hill seinen Hauptdarsteller gefunden
Ohne einen starken Hauptdarsteller hätte die sensible Coming-of-Age-Geschichte allerdings niemals funktioniert. Mit Sunny Suljic ("The Killing of a Sacred Deer") ist Hill ein echter Glückswurf gelungen, wie er im TVMovie.de-Interview betont: „Sunny ist einfach unglaublich. Er war gerade einmal 11 Jahre alt, als wir den Film gedreht haben. Und das ist völlig irre. Wir hatten einen Produzenten namens Mikey Alferd, der das L.A. Skate-Team als junger Typ geleitet hat. Er brachte eine Menge Leute zum Film, die er aus seiner Skate Gemeinschaft kannte. Nachdem ich Sunny zum ersten Mal gesehen hatte, wusste ich direkt, dass ich ihn in der Hauptrolle haben will.
Mit Lucas Hedges als Stevies rabiatem Bruder und Katherine Waterston als Stevies Mutter brachte Jonah Hill etablierte Schauspielpower für wichtige Schlüsselrollen in den Film ein. Doch Stevies eigentliche Skater-Familie besteht tatsächlich aus Amateur-Skatern, die für den Film essentiell waren. Was nützen Turtles-Referenzen und Skater-Allüren, wenn die Darsteller nicht glaubwürdig sind? Die Besetzung von unerfahrenen Darstellern für die Rollen von Ray, Fuckshit, Ruben und Fourth Grade brachte zwar einige Herausforderungen, gleichzeitig jedoch auch riesige Chancen für den Film mit sich.
Besonders für eine Person am Set kann Hill sein Schwärmen schwer unterdrücken: „Wenn man mit Darstellern zusammenarbeitet, lernt man schnell ihre Stärken und Schwächen kennen. Bei Na-Kel, der im Film Ray spielt, waren es allerdings ausschließlich Stärken. Es wäre allerdings eine Schande gewesen, wenn ich sein Wesen komplett außen vorgelassen hätte. Auch wenn er natürlich eine fiktive Figur verkörpert und ein toller Darsteller ist, hat Na-Kel einfach einen positiven Effekt auf seine Mitmenschen. Er hat ursprünglich für die Rolle von Fuckshit vorgesprochen. Und dann ist mir erst klar geworden, dass er Ray spielen muss“, so Jonah Hill im Interview.
Mid90s: Die Rebellion im Kleinen
Ähnlich wie sich der junge Stevie im Laufe des Films transformiert, hat sich auch das Aussehen und das Feeling von Mid90s im Laufe des Drehprozesses verändert. Auch Skateboarden an sich hat heutzutage einen ganz anderen Stellenwert wie damals, als die coolen Kids die Straßen von L.A. beherrschten und von nichts und niemanden zu stoppen waren: „Skaten wird bald olympisch. Wer hätte das jemals gedacht?! Es ist schwer, etwas als rebellisch zu bezeichnen, dass bald Teil der Olympischen Spiele sein wird“, so Jonah Hill nachdenklich.
Mit Mid90s beweist der Regisseur jedenfalls, dass er ein Rebell mit großem Herzen ist: Denn trotz der derben Sprüche und unzähligen Schimpfworten, trotz der außergewöhnlichen formalen Bildersprache und trotz den teils überraschenden Gewaltausbrüchen, verliert Mid90s nie seine sympathischen Hauptdarsteller und ihre Entwicklung aus den Augen. Dass Erwachsenwerden weit mehr bedeutet als blaue Flecken, brüderliche Machtkämpfe und sich den Respekt einer eingeschworenen Gruppe zu verdienen, macht Jonah Hill fast in jeder Sekunde seines Debütfilms deutlich. Und für diesen unerwarteten und bravourös mutigen Ritt auf dem Skateboard gebührt ihm wirklich der größte Respekt.
Interview & Text: David Rams
Mid90s startet am 07.03.2019 in den deutschen Kinos. Den Trailer seht ihr hier: