So viel „Tatort“ war nie: 39 Erstausstrahlungen sind für 2013 angekündigt, fünf neue Teams gehen erstmals auf Verbrecherjagd. Allerweltsmann Devid Striesow macht den Anfang.
Absolut nichts scheint besonders an Devid Striesow (39). Augen, Nase, Mund sind vielleicht eher zu klein für so viel Kopf, die Geheimratsecken im aschblonden Haar groß. Wäre man gezwungen, eine Phantomzeichnung von ihm anzufertigen, würden sich viele schwertun. Besondere äußere Merkmale: keine! Nach gängigen Maßstäben hat solch ein Mann wenig Chancen, ein Star zu werden. Und doch zählt Striesow neben Typen wie Wotan Wilke Möhring (45), Jürgen Vogel (44) und Oscar-Preisträger Christoph Waltz (56) zu den fleißigsten und erfolgreichsten seiner Zunft. Manche bezeichnen ihn als Workaholic. Im positiven Sinn, wohlgemerkt. Am 27.1. ermittelt Deutschlands bekanntester Unbekannter jetzt erstmals als Hauptkommissar Jens Stellbrink im 860. „Tatort“. Einsatzort: Saarbrücken.
Begehrter Kriminalist
Leicht hat sich Striesow die Entscheidung für den ARD-Sonntagskrimi nicht gemacht. Schließlich musste er eine ihm lieb gewordene Rolle dafür aufgeben. „Seit 2005 war ich der Kriminalassistent an der Seite von Hannelore Hoger alias Bella Block im Zweiten“, erzählt Devid Striesow im Gespräch mit TV Movie. „Aber zwei Fahnder gleichzeitig bei ARD und ZDF zu spielen, ist verständlicherweise nicht erwünscht.“
Humor und Blessuren
„Mit mir am ,Tatort‘ wirds bunt. Vorspann und Abspann bleiben, dazwischen ist alles erlaubt“, sagt Striesow. Dabei lässt er seine himmelblauen Augen blitzen, verzieht das Gesicht zu einem breiten Grinsen. Ein Grinsen, das er auch als Kommissar Stellbrink einsetzt. Denn der Saar-„Tatort“ soll künftig witziger werden. Was nicht wundert, schielt man doch auf die 12-Millionen-Quote der Kollegen aus Münster. Und die sind vor allem lustig. „Ich löse meine Fälle mit Herz, Sarkasmus und beim Yoga. Wenns sein muss, ziehe ich auch die Waffe“, verrät der schauspielernde Zehnkämpfer. „Action, Comedy, Spannung: Ich will in jeder Richtung überraschen.“
Seine Ermittlungsmethoden sind unbedingt ungewöhnlich: Kaum in Saarbrücken angekommen, muss er gleich in Gummistiefeln, Shorts und gelber Öljacke ums nackte Überleben rennen. Drei schießwütige Schurken verfolgen ihn und das zufällig im Baumarkt aufgegabelte Mädchen „Melinda“ – dabei trägt der Kommissar etliche Blessuren davon. „Ich werde in jeden meiner Fälle hineingezogen“, sagt Striesow. „Nur eins werden Sie nie von mir hören: „Was haben Sie zur Tatzeit gemacht?‘ Das sollen andere fragen.“
Erfolg trotz ADS
Bis zu zwölf Filme dreht Striesow im Jahr für Kino und TV. Fast alle deutschen Film und Theaterpreise stehen zu Hause im Regal in Berlin-Pankow, wo er mit Ehefrau Francine (26), einer Kamerunerin, und zwei seiner drei Söhne (2 Jahre; 8 Monate) lebt. Und doch erntet man meist Achselzucken, wenn Striesows Name fällt. Schuld daran ist sein Dutzendgesicht – und ausgerechnet das wurde für den 1973 in Bergen auf Rügen geborenen Sohn eines Elektrikers und einer Krankenschwester om Nach- zum Vorteil. Nur mit diesem Gesicht konnte er vom Matratzenverkäufer in „Lichter“ bis Hitlers Hundeführer in „Der Untergang“ spielen – ein Vielseitigkeitsweltmeister, für jede Rolle richtig.
Als vor einigen Jahren ADS bei ihm diagnostiziert wird, sieht der Optimist auch das positiv. ADS steht für Aufmerksamkeits- Dezifit-Syndrom, eine psychische Störung. „Zum Glück hat man das nicht in meiner Kindheit festgestellt“, sagt Striesow. „Für mich ist Hyperaktivität keine Krankheit, Steven Spielberg ist damit bedacht und Bob Dylan. Leute, die den Rhythmus vorgeben.“ Beim Abschied zeigt Striesow wieder sein Grinsen. Bereits nach wenigen Schritten scheint er fast unsichtbar.
TEXT: Uta Tiedemann