Ein Film, der einem das Herz zerreißt: In "Beautiful Boy" kämpft ein Vater gegen die Drogensucht seines Sohnes und muss erkennen, dass der Gegner übermächtig zu sein scheint.
Ahnungslos was ihn in den kommenden zwei Stunden erwartet, wird der Zuschauer gleich in der ersten Szene mit der bitteren Wahrheit konfrontiert. Der Journalist David (Steve Carrell) wendet sich in seiner Verzweiflung an einen Arzt, denn er möchte die Krankheit verstehen, die ihm seinen Sohn Stück für Stück wegnimmt. Nic (Timothee Chalamet) ist drogenabhängig und sein größter Feind Crystal Meth – oder auch seine größte Begierde. Was der Experte ihm zu erzählen hat, ist niederschmetternd: Weniger als zehn Prozent der Abhängigen kommen von dem Teufelszeug los, das eine stärkere Wirkung als jede andere Droge hat und noch schneller abhängig macht.
"Beautiful Boy" basiert auf den Memoiren des Vater-Sohn-Duos David und Nic Sheff und auch deshalb schafft es der Film, authentisch und ehrlich rüberzukommen. Er zeigt, dass Drogensucht auch vor Menschen mit liebevoller Familie und glücklicher Kindheit nicht Halt macht. In einer Szene erklärt eine Mutter, die ihre Tochter durch deren Drogensucht verloren hat, welche Erkenntnis ihr nach dem Verlust gekommen ist: Abhängigkeit zwingt die Angehörigen dazu, die Lebenden zu betrauern – eine schreckliche Erfahrung, die auch David machen muss.
Trotzdem weigert er sich seinen geliebten Sohn aufzugeben und versucht alles, um Nic wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Doch er scheitert immer wieder. Gerade als der Zuschauer denkt, Nic könnte wirklich von der Sucht loskommen, erleidet er einen Rückfall. So geht es hin und her, hin und her - bis der Zuschauer empfindet, was auch David fühlt: Hoffnung, Wut, Hilflosigkeit und Resignation.
"Beautiful Boy": Vater-Sohn-Beziehung steht im Vordergrund
Während des Films von Regisseur Felix Van Groeningen wird David immer wieder von glücklichen Momenten mit seinem Sohn gequält. So wichtig diese Szenen für den Streifen auch sind, offenbaren sie doch auch eine der wenigen Schwächen des Dramas. Denn die Szenen wirken teilweise so durcheinander und zusammenhangslos, dass sie den Zuschauer unnötig aus der Handlung reißen.
Konfrontiert mit seinen Erinnerungen fragt sich David wie aus dem Kind, das zwar mit geschiedenen, aber ihn liebenden Eltern aufgewachsen ist, ein Junkie werden konnte. Konkret beantwortet der Film diese Frage nicht. Nic ist ein melancholischer, nachdenklicher Junge, der durch den Drogenrausch versucht, das Loch in seinem Inneren zu stopfen. Ohne Heroin oder Crystal Meth sei das Leben langweilig, erklärt er in einer Szene.
Schnell verliert er jedoch komplett die Kontrolle, distanziert sich von seiner Familie, führt sogar seine Freundin an die Drogen heran und zerstört sich langsam selbst. Nach einem weiteren Rückfall seines Sohnes treffen sich David und Nic nach längerer Funkstille in einem Café wieder – ein besonderer Ort aus Nics Kindheit. Doch das, was war, gibt es jetzt nicht mehr. Stattdessen sind sich Vater und Sohn fremd geworden. In Szenen wie dieser entfaltet der Film seine ganze Wucht. Während David einfach nur seinen geliebten Sohn zurückhaben will, nicht versteht, wer ihm da wirklich gegenübersitzt, kämpft Nic mit Gefühlen wie Schuld und Scham. „Das bin ich, Dad. Das ist, wer ich bin“, erklärt sich der junge Mann, der mittlerweile so weit in seiner Drogensucht gefangen ist, dass er diese als untrennbaren Teil seiner selbst sieht.
Timothée Chalamet spielt grandios
Timothée Chalamet spielt den drogensüchtigen Nic mit all seiner Verzweiflung unglaublich ehrlich. In jeder Szene des Schauspielers wird der Schmerz für den Zuschauer spürbar und damit sein Verloren-Sein und die Unfähigkeit, sich aus den Klauen der Sucht zu befreien. Immer wieder bricht es einen das Herz, zu sehen, wie Nic versucht mithilfe seiner Familie seine Abhängigkeit zu bekämpfen, um dann nur noch tiefer im Drogensumpf zu versinken. Dabei legt der 23-Jährige eine ähnliche Zerbrechlichkeit an den Tag, die ihn schon in dem Überraschungserfolg „Call Me By Your Name“ auszeichnete. Alleine seine Darstellung ist ein Kinobesuch wert und die ausgebliebene Oscar-Nominierung deshalb umso unverständlicher. Dennoch wird der Shootingstar in den kommenden Jahren mit Sicherheit noch den ein oder anderen Preis gewinnen können.
Neben ihm kann auch Steve Carell als leidender Vater überzeugen, der seinen Sohn über alles liebt und ihn deshalb einfach nicht loslassen kann. Maura Tierney und Amy Ryan als Mutter und Stiefmutter von Nic gelingt es in ihren Szenen, authentisch abzubilden, wie der Sohn mit seiner Abhängigkeit eine ganze Familie zu zerstören droht. Dennoch bleibt besonders Amy Ryans Rolle der leiblichen Mutter sehr oberflächlich und ihr Verhältnis zu Nic wirkt ihm Vergleich zur Vater-Sohn-Dynamik fast distanziert. Perfekt ins Gesamtbild ordnet sich dagegen der melancholische Soundtrack des Films ein – angeführt von John Lennons gleichnamigem Song.
"Beautiful Boy" ist kein Film, bei dem sich mit Popcorn entspannt zurückgelehnt werden kann, noch einer bei dem der Zuschauer auf Gute-Laune-Kino hoffen darf. Aber ein Film, der einen fühlen lässt – und zwar so ziemlich jede Regung, die man sich vorstellen kann: Wut und Angst, Trauer und Glück und die unendliche Liebe eines Vaters zu seinem Sohn. Das Drogen-Drama startet am 24. Januar 2019 in den deutschen Kinos. Hier seht ihr den Trailer zum Drama von Felix Van Groeningen: