Diesmal sprengt Saoirse Ronan das System: Die Darstellerin spielt in "The Outrun" eine Alkoholikerin, die in der Einsamkeit zu sich findet. TVMovie.de traf sie zum Interview!
Manchmal hört man nur das Meer und den Wind. Wenn man Rona (Saoirse Ronan) in „The Outrun“ sieht, wie sie in aller Ruhe Vögel auf den Orkneyinseln trackt oder mit Techno auf ihren Ohren an den heranbrausenden Wellen vorbeizieht, dann kann man selbst etwas Fernweh bekommen. Für Rona ist das selbstgewählte Exil aber ein Detox-Trip der etwas anderen Sorte: Jahrelang hat sie unter ihrer Alkoholsucht gelitten und sucht ausgerechnet in der unbändigen Rauheit der Orkneys, nördlich der schottischen Küste, nach einem Neuanfang. Der Filmstoff basiert auf den bewegenden Memoiren von Amy Liptrot, die in "The Outrun" ihr eigenes Schicksal mit aller Offen- und Ehrlichkeit auf Papier gebracht hat.
Unsere Filmkritik zu "The Outrun":
Über Umwege hat Schauspielerin Saoirse Ronan vom Roman gehört und war sofort Feuer und Flamme das berührende Selbstisolationsporträt auf die große Leinwand zu bringen. Im Rahmen der Berlinale 2024 konnten wir mit der Schauspielerin u. a. darüber sprechen, wie es war eine alkoholkranke Figur zu spielen und welchen Impact die Orkneys auf den Film hatten.
Frage: Wie haben Sie sich auf die Rolle vorbereitet? Haben Sie recherchiert oder sich eher auf persönliche Erfahrungen gestützt?
SR: Vieles basierte auf meinen persönlichen Erfahrungen und den Menschen, die ich kenne. Aber ich habe mich auch intensiv mit einer Reha-Gruppe auseinandergesetzt, die offen über ihre Erlebnisse sprach. Das war unglaublich bereichernd. Die Ehrlichkeit und der Humor, mit dem sie ihre Geschichten erzählten, haben mich beeindruckt. Ihre Haltung – „Wenn du nicht lachst, wirst du weinen“ – hat mir eine neue Perspektive auf diese Erfahrungen gegeben. Besonders aufschlussreich war die Erzählung einer Frau, die beschrieb, wie emotional überwältigend ihre letzte Reha war, weil sie plötzlich mit all den unterdrückten Gefühlen konfrontiert wurde. Diese Schilderungen haben mir geholfen, die emotionale Tiefe der Rolle besser zu verstehen.
Stimmt es eigentlich, dass Ihr Lebenspartner Sie auf das Buch aufmerksam gemacht hat?
SR: Genau. Mein Partner Jack war vor einigen Jahren auf den Orkneyinseln und hatte das Buch dort entdeckt. Er hat die Angewohnheit, bei Reisen Bücher aus der jeweiligen Region zu lesen, und dieses Buch wurde ihm von jemandem empfohlen, der ihm nahe stand. Während des Lockdowns hat er es dann erneut gelesen und war so begeistert, dass er mir sofort sagte: „Das musst du lesen. Das ist die nächste Rolle, die du spielen musst.“ Als ich das Buch gelesen habe, war ich vollkommen fasziniert. Es bot eine riesige Bandbreite an Emotionen und Facetten, die ich als Schauspielerin erkunden konnte. Es war eine Rolle, bei der es keine Grenzen gab – ich konnte die Figur in all ihrem Chaos, ihrer Verletzlichkeit, ihrer Klugheit und ihrer Verzweiflung darstellen.
Die Darstellung einer Betrunkenen ist bekanntlich eine große schauspielerische Herausforderung. Wie sind Sie diese Szenen angegangen?
SR: Das ist tatsächlich eine der schwierigsten Aufgaben für eine Schauspielerin, weil man leicht Gefahr läuft, ins Übertriebene oder Karikatureske abzudriften. Viele Menschen denken, dass Betrunkene lallen oder vollkommen unkontrolliert sind, aber das ist oft nicht der Fall, insbesondere bei Alkoholiker:innen. Ihr Körper ist an den Alkohol gewöhnt, und sie wirken oft erstaunlich „normal“, besonders in den Momenten, in denen sie trinken, um ein Gefühl von Gleichgewicht und Erleichterung zu erreichen. Ich habe mit einem Choreografen zusammengearbeitet, um die verschiedenen körperlichen Zustände der Figur zu entwickeln. Wir haben uns gefragt: Ist sie schwer? Leicht? Wütend? Welche Körperteile fallen zuerst zu Boden, wenn sie stürzt? Dieser körperliche Ansatz half mir, die Szenen authentisch und vielseitig zu gestalten.
Haben Sie zur Vorbereitung auch Menschen beobachtet, die betrunken waren?
SR: Ja, ich war ein paar Mal in Bars unterwegs, um Menschen zu beobachten. Dabei habe ich natürlich auch darauf geachtet, wie Alkohol mich selbst beeinflusst – wie sich meine Wahrnehmung und meine Bewegungen im Laufe des Abends verändern. Es war interessant zu sehen, wie unterschiedlich Menschen auf Alkohol reagieren und wie sehr sie versuchen, „normal“ zu wirken, selbst wenn sie offensichtlich nicht mehr ganz nüchtern sind.
Wie war es, den Film mit den intensiven Szenen in London zu beginnen?
SR: Es fühlte sich absolut richtig an. Es war eine bewusste Entscheidung, die schwersten Szenen zuerst zu drehen. Diese Intensität gleich zu Beginn half mir, mich voll und ganz in die Figur hineinzuversetzen. Als wir später auf die Orkneyinseln zogen, brachte die ruhigere Umgebung eine Art Erleichterung – sowohl für mich als Schauspielerin als auch für die gesamte Crew. Die Struktur der Dreharbeiten passte perfekt zur emotionalen Entwicklung der Geschichte.
Der deutsche Kinotrailer zu "The Outrun":
Die Orkneyinseln spielen eine zentrale Rolle im Film. Wie haben Sie die Dreharbeiten dort erlebt?
SR: Es war ein absolutes Geschenk. Die Orkneys sind wie eine andere Welt – rau, abgeschieden und gleichzeitig voller Leben und Geschichte. Die Natur war überwältigend, und die Einheimischen waren unglaublich gastfreundlich. Da es dort kaum Hotels gibt, lebten wir mit den Einheimischen zusammen, aßen mit ihnen und wurden ein Teil ihrer Gemeinschaft. Das hat die Dreharbeiten zu etwas Besonderem gemacht und mir geholfen, die Figur noch besser zu verstehen, die tief in dieser Umgebung verwurzelt ist.
Der Film wurde von einer weiblichen Regisseurin inszeniert. Wie wichtig war das für Sie?
SR: Es war sehr wichtig. Natürlich sollte immer der beste Regisseur oder die beste Regisseurin den Job bekommen, aber in diesem Fall war es ein großer Vorteil, dass eine Frau hinter der Kamera stand. Sie brachte eine Sensibilität und einen Fokus auf die emotionale Tiefe der Figuren ein, die für den Film essenziell waren.
Die Figur trägt eine große emotionale Last mit sich. Wie haben Sie diese psychologische Tiefe in Ihre Darstellung integriert?
SR: Es war eine Herausforderung, aber auch unglaublich befriedigend. Jeder Mensch trägt auf irgendeine Weise emotionale Wunden mit sich herum, und ich habe versucht, auf meine eigenen Erfahrungen zurückzugreifen, um die Figur glaubwürdig zu machen. Gleichzeitig wollte ich sicherstellen, dass ich die Geschichten der Betroffenen würdige und respektvoll darstelle. Das war ein Balanceakt, aber durch die ehrliche und poetische Art, wie das Buch geschrieben ist, fiel es mir leichter, mich in die Figur hineinzuversetzen.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch. Gibt es etwas, das Sie den Zuschauern:innen mit auf den Weg geben möchten?
SR: Ich hoffe, dass der Film den Menschen nicht nur die Augen für die Herausforderungen von Sucht und psychischen Erkrankungen öffnet, sondern auch zeigt, wie wichtig Mitgefühl und Verständnis sind – für sich selbst und für andere.
"The Outrun" ist ab dem 05.12. in den deutschen Kinos zu sehen!