In "The Irishman" spielt Oscar-Preisträger Al Pacino den legendären Gewerkschaftsführer Jimmy Hoffa und arbeitet das erste Mal mit Martin Scorsese zusammen. Wie er Robert De Niro kennengelernt hat und warum Kino eine ganz andere Erfahrung ermöglicht, verriet er uns im TV Movie Online-Interview.
Es ist das vierte Mal in ihrer unglaublichen Karriere, dass die beiden Hollywood-Legenden Robert De Niro und Al Pacino gemeinsam vor der Kamera stehen. Für Pacino bedeutet seine Rolle in "The Irishman" jedoch nicht nur die späte Rückkehr ins Gangster-Genre, sondern auch eine lang erwartete Premiere: Denn das erste Mal arbeitete der 79-jährige Oscar-Preisträger mit Regisseur Martin Scorsese ("Hexenkessel", "Casino") zusammen. Tatsächlich kreuzten sich die Wege der beiden schon des Öfteren, wie uns Al Pacino beim Interview-Termin zu "The Irishman" im Rahmen des BFI London Film Festivals verriet. Doch auf eine gemeinsame Kollaboration musste die Filmwelt bisher verzichten - bis jetzt!
Denn nun ist "The Irishman" bereits in ausgewählten Kinos zu sehen und erscheint am 27. November 2019 bei Netflix. In dem auf wahren Begebenheiten beruhenden Film-Epos schlüpft Pacino in die Rolle des gefeierten, aber auch umstrittenen Gewerkschaftsführers Jimmy Hoffa, der als Chef der Lastwagenfahrer-Gewerkschaft vor allem in den 1950er Jahren enorme Erfolge feiern konnte, doch dessen Verbindungen zur Unterwelt ihn möglicherweise sein Leben gekostet haben. Denn bis heute wirft Hoffas plötzliches Verschwinden viele ungeklärte Fragen auf. Was Al Pacino bei der Vorbereitung zu "The Irishman" über Hoffa gelernt hat, was er dachte, als er Robert De Niro das erste Mal traf und was ihn an Kino immer noch fasziniert, verriet er uns im TV Movie Online-Interview:
TV Movie Online: Sie haben noch nie mit Martin Scorsese gearbeitet. Haben Sie tatsächlich noch daran geglaubt, dass ein gemeinsames Projekt zustande kommt?
Al Pacino: Ich habe eigentlich schon aufgegeben an die Chance zu glauben (lacht). Wir haben es ja schon ein paar Mal versucht. Aber es liegt in der Natur unseres Berufsstandes, dass viele Dinge starten, die sich dann in unterschiedliche Richtungen entwickeln. Ich habe schon vorher an ein paar Filmen mit Marty (Anm. d. Red.: Martin Scorsese) gearbeitet, aber es ist nie etwas daraus geworden. Und jetzt habe ich selbst fast vier Jahre lang keine Filme mehr gemacht. Umso dankbarer bin ich, dass ich jetzt endlich mit ihm arbeiten konnte. Hoffentlich klappt es noch einmal. Denn er ist einfach großartiger Regisseur.
Wie vertraut war Ihnen Jimmy Hoffa und seine außergewöhnliche Geschichte vor dem Dreh?
AP: Schon als Kind war mir Jimmy Hoffa vertraut. Er war schon damals so präsent in den Nachrichten mit seinem leicht zwielichtigen, aber auch ziemlich positiven Image. Es gibt mittlerweile so viele Aufzeichnungen über ihn. Und die haben mir im Nachhinein die Augen geöffnet. Manchmal hat mich Bob (Anm. d. Red.: Robert De Niro) am Set gesehen und sich gewundert, was ich da gerade treibe, während ich mir Audio-Aufzeichnungen von Jimmy Hoffa über meine Ohrstöpsel angehört habe. Und wenn man sich so intensiv mit einer Figur beschäftigt, findet man immer Dinge über Personen heraus, auch wenn man überhaupt nicht danach fragt oder sucht. Das ist für einen Darsteller einfach enorm wichtig, weil sie die Wahrnehmung für eine Figur sehr stark formen können. Als Jimmy im Gefängnis war, wurde er zu einem großen Gefängnis-Reformer. Er konnte nicht glauben, wie Leute dort wirklich behandelt wurden und hat deshalb eine große Reformbewegung gestartet. Schon damals hat man gesehen, was für ein enormes Organisationstalent er war. Und das war für mich erleuchtend, auch wenn Dinge wie sein Clinch mit Robert Kennedy oder sein Einsatz für Martin Luther Jr. vielleicht eher im öffentlichen Bewusstsein sind.
Versuchen Sie öfter solche Details zu entecken, wenn Sie Figuren spielen, die auf echten Persönlichkeiten beruhen?
P: Anfang der 70er habe ich "Serpico" gedreht. Der Film handelt von einem Polizisten in New York City, der sich gegen die Korruption in seinem Umfeld wehrt. Ich erinnere mich noch, dass ich gemeinsam mit dem echten Frank Serpico in Montaugh war. Wir haben auf einer Dachterrasse gesessen und uns unterhalten. Ich habe ihn dann ganz direkt gefragt: "Warum hast du eigentlich nicht das Schmiergeld angenommen, das man dir angeboten hat? Du hättest ja einfach weitermachen und das Geld z.B. an eine wohltätige Vereinigung spenden können." Er hat mich daraufhin intensiv angeschaut und mir dann erwidert: "Wenn ich das tatsächlich gemacht hätte: Wer wäre ich dann, wenn ich Beethoven höre?" Wenn dir jemand so etwas sagt, dann willst du ihn natürlich auch spielen (lacht).
Können Sie sich eigentlich noch an ihr erstes Treffen mit Robert De Niro erinnern? Was haben Sie damals über ihn gedacht?
AP: Wir haben uns ja schon in den 1960er Jahren getroffen, als wir quasi noch Kinder waren (lacht). Wir waren beide junge Darsteller. Aber tatsächlich erinnere ich mich noch genau an unser erstes Treffen: Es war in der 14th Street. Ich hatte zu der Zeit eine Freundin und auch Bob hatte eine Freundin. Ich war ziemlich beeindruckt, als ich erfahren habe, dass er auch Schauspieler ist. Ich mochte ihn gleich, auch wenn ich ihn noch gar nicht kannte. Er hatte einfach so viel Charisma. Gar nicht auf eine angeberische oder extrovertierte Art und Weise. Meine Freundin sagte mir damals: "Er ist ein richtig guter Darsteller." Sie hatten zusammen an einem kleinen Independent-Film von Brian De Palma gearbeitet.
Was für eine Rolle hat Netflix für "The Irishman" gespielt? Und was halten Sie selbst vom Zeitalter des Streamings?
AP: Zunächst einmal konnte der Film nur wegen Netflix fertiggestellt werden. Ich habe meine eigene Meinung zum Thema und es geht dabei gar nicht primär um Netflix. Wenn man einen Film in einem Kino sieht, ist es einfach eine andere Erfahrung. Egal, wie gut der Film letztendlich ist: Man sitzt in diesem dunklen Raum und wird mit etwas konfrontiert. Ich finde es spannend zu sehen, was mit "The Irishman" passiert, wenn man ihn zuhause anschaut. Die Tatsache, dass man den Film an jedem beliebigen Zeitpunkt pausieren kann, verändert das Erlebnis. Ich verstehe nicht, wie man die beiden Dinge vergleichen kann.
Das heißt im Umkehrschluss aber natürlich nicht, dass ich Filme nicht auch gerne zuhause schaue. Was uns bei "The Irishman" aber auch wichtig war, ist die Tatsache, dass es auch verschiedene Kinos gibt, die den Film zeigen. Es soll einfach die Möglichkeit geben ihn auch so zu sehen. Kino ist einfach eine andere Erfahrung.
Können Sie sich selbst an ein einschneidendes Kino-Erlebnis erinnern?
AP: Ich habe "Scarecrow", einen meiner früheren Filme, vor nicht allzu langer Zeit als 35mm-Projektion gesehen. Quentin Tarantino besitzt ein Kino in Los Angeles, dass nur 35mm-Projektionen von Filmen zeigt. Und ich hatte den Film seit seiner Premiere nicht mehr gesehen. Ich hatte leider nicht viel Zeit, aber Quentin hat mich darum gebeten mir zumindest den Anfang des Films anzuschauen. Dort zu sitzen und den Film in 35mm zu sehen, hat alles verändert. Das hat mich persönlich überzeugt mehr Filme so zu sehen. Wenn man sie eben nicht so anschauen kann, wird etwas von dieser Erfahrung weggenommen. Ich war völlig begeistert. Allerdings musste ich auch schnell wieder raus aus dem Kino (lacht).
Interview & Text: David Rams
"The Irishman" ist aktuell in ausgewählten Kinos zu sehen und ist ab dem 27. November 2019 auf Netflix abrufbar. Einen Trailer zum Film seht ihr hier: