Ab dem 16. September läuft der für den Deutschen Filmpreis nominierte Film „Je suis Karl“ in den Kinos. TVMovie.de hat mit Regisseur Christian Schwochow über die Gefahr durch die „Neue Rechte“, Tränen während der Dreharbeiten und kommende Filmprojekte gesprochen.
Bei einem Terrorattentat in Berlin verliert Maxi (Luna Wedler) ihre Mutter und ihre zwei Brüder. Maxi und ihr Vater (Milan Peschel) sind schwer traumatisiert. Kurz darauf lernt sie den charismatischen Karl (Jannis Niewöhner) kennen. Karl ist Teil einer politischen Gruppe junger, dynamischer Menschen, die auf den ersten Blick modern und weltoffen wirken. Karl zieht Maxi in seinen Bann. Durch das Attentat schwer verstört, merkt Maxi nicht, dass Karl sie in eine gefährliche, rechte Szene mitreinzieht. Der Film ist mehr als eine Fiktion, er ist eine Warnung an seine Zuschauer*innen. Denn die Gefahr, die von rechts kommt, ist näher, als es zunächst scheint.
TVMovie.de: In „Je suis Karl“ thematisierst du die „Neue Rechte“ in Europa auf schonungslose Weise. Wie ist die Idee für diesen Film entstanden?
Christian Schwochow: Als ich Anfang 20 war, habe ich als Fernsehjournalist gearbeitet. Seitdem habe ich mich mit Rechten befasst und zu ihnen recherchiert. Ich bin jemand, der Angst vor Rassismus hat, vor allem wenn er sich versteckt und Teil des Mainstreams wird. Bereits vor einigen Jahren habe ich den Film über NSU gemacht. Danach dachte ich, dass ich gerne in die Gegenwart schauen will. Wie hat sich die Szene weiterentwickelt? Denn das klassische Bild von der Bomberjacke, den Springerstiefeln oder den Glatzen verschwindet immer mehr. Die haben sich angepasst, die haben gemerkt, dass sie auch moderner werden müssen. Und das hat mir Angst gemacht. Ich habe mir irgendwann die Frage gestellt, was passiert eigentlich, wenn eine charismatische Figur wie „Karl“ – also eine Art Barack Obama oder Greta Thunberg, nur von ultrarechts – kommt? Sind wir auf so jemand vorbereitet, oder nicht? Was für eine Kraft kann so jemand entwickeln? Weil ich davor große Angst habe, habe ich diesen Film gemacht.
TVMovie.de: Im Film zeigst du die Mitglieder der neuen rechten Bewegung als junge, dynamische Menschen, die auf den ersten Blick sehr modern und offen wirken. Wie nah ist dieses Bild an der Realität dran?
Christian Schwochow: Es gibt sehr viele Jugendorganisationen, vor allem in Europa, die sehr stark auf so eine Lifestyle-Kultur setzen. Die Akteure sind gebildet, sprechen viele Sprachen und haben linke Symbole und Aktionsformen für sich umgedeutet. Das sind Menschen, die scheinbar weltoffen, scheinbar sogar feministisch sind. Sie haben begriffen, dass man eine ganz junge Generation nur dann erreicht, wenn man sich anpasst. Was wir erzählen, ist sehr nah an der Realität dran. Wir mussten uns wenig ausdenken.
TVMovie.de: Wie nimmst du die Neue Rechte aktuell in der Corona-Zeit wahr?
Christian Schwochow: Ich glaube, dass die Rechten nicht so richtig Kapital aus der Corona-Krise ziehen konnten, wie sie es sich gewünscht hätten. Aber in der Querdenker-Bewegung ist etwas gelungen, was ich sehr bedenklich finde. Diese Anti-Corona-Demos sind auch vermeintlich bunt und divers. Da sehe ich auch Leute aus meinem Freundes- oder Kollegenkreis, die sagen: „Das ist doch weltoffen und kunterbunt.“ Doch sie ignorieren dabei, dass da auch Reichsbürger mitmarschieren. Ich würde niemals auf eine Demo gehen, die auch von der AFD mitorganisiert ist, selbst wenn ich bestimmte Positionen teile oder eine kritische Haltung der Regierung gegenüber habe. So macht man diese Gruppen kleiner und gibt ihnen Zutritt zum Mainstream. Und insofern finde ich das sehr besorgniserregend.
TVMovie.de: Mit welchem Gefühl und welchen Fragen sollten die Zuschauer*innen aus dem Film rausgehen?
Christian Schwochow: Ich möchte niemanden erziehen und auch nicht belehren. Ich wollte einen Film machen, der unterhält. Ein Film, der spannend und emotional ist und der eine Wucht hat. Ich würde mich natürlich freuen, wenn sich die Zuschauer danach auch irgendwie irritiert fühlen. „Was habe ich da gerade gesehen? Was hat das mit mir gemacht?“ Es wäre toll, wenn es Leute, die noch nie von diesen Bewegungen gehört haben, dazu verleitet, selbst mal zu recherchieren. Im besten Fall tauschen sich die Leute dann darüber aus. Natürlich möchte ich, dass man sich fragt „Welche Form von Rassismus kenne ich von mir, von anderen?“ Am liebsten wäre es mir, dass man nach dem Film ein Unwohlsein hat. Gerade wenn man merkt, man kennt solche Leute oder diese Bedrohung, aber hat sie vielleicht bisher von sich weggeschoben. Das ist das Schlimmste, was wir machen und wir machen das ganz oft: Wir unterschätzen die Rechten und wir reden die Gefahr, die von ihnen ausgeht, klein.
TVMovie.de: „Je suis Karl“ kommt kurz vor der anstehenden Bundestagswahl in die Kinos. Zufall, oder was möchtest du den Wählern mit dem Film mit auf den Weg geben?
Christian Schwochow: Zufall ganz bestimmt nicht. Ich bin ehrlich, wenn ich irgendjemand durch den Film politisiere oder dazu bringe, überhaupt zur Wahl zu gehen und das Gefühl zu vermitteln kann, dass politische Auseinandersetzung wichtig ist, dann habe ich schon ganz viel erreicht. Aber ich will niemandem eine konkrete Wahlempfehlung geben. Ich glaube daran, dass es gerade eine junge Generation gibt, die sich für einen politischen Diskurs anders öffnet. Dadurch dass sich viele nicht mehr in den Parteien aufgehoben fühlen und es gar nicht so leicht ist, einen politischen Kompass für sich zu finden, könnte ich mir vorstellen, dass der Film da für intensive Diskussionen sorgen kann. Das würde ich mir wünschen.
TVMovie.de: Luna Wedler und Jannis Niewöhner überzeugen in den Hauptrollen. Wie war die gemeinsame Arbeit?
Christian Schwochow: Ich wollte eine mitreißende, emotionale Geschichte erzählen. Dafür ist es wichtig, dass ich zwei Schauspieler habe, die bereit sind, sehr weit zu gehen. Die mutig sind, die in die Emotionen gehen, die einander vertrauen, die sich gegenseitig stützen und helfen. Und das haben die beiden auf unfassbar tolle Weise gemacht. Für Lunas Figur „Maxi“ liegt unter jeder Szene das Trauma des Verlustes der Mutter und der zwei Brüder und das hat sie unfassbar ernst genommen. Und für Jannis, der persönlich sehr zurückhaltend und kein Mann der großen Worte ist, war es wichtig, sich „Karl“, diesem Redner und Verführer, anzunehmen. Diesem düsteren, grausamen Menschen seinen Körper und seine Stimme zu schenken, das ist ein großer Mut. Er ist da auch sehr weit gegangen und hat nicht versucht, aus ihm einen besseren Menschen zu machen, als er ist. Das finde ich ganz toll.
TVMovie.de: Der Film und das Thema sind sehr schwer: Wie intensiv kann man sich die Arbeit am Set und darüber hinaus vorstellen? Kann man nach einem Drehtag, an dem man sich mit Terror und Rassismus auseinandergesetzt hat, abends abschalten?
Christian Schwochow: Nicht an jedem Tag. Ich hatte diese Erfahrung schon bei dem NSU-Film gemacht, wo der Rassismus und die Gewalt noch viel offener eine Rolle gespielt haben. Bei „Je suis Karl“ war es so, dass es viele Szenen gab, wo die Schauspieler und Schauspielerinnen vor der Kamera geweint und extreme Gefühle gezeigt haben. Da habe ich selbst auch hinter der Kamera mitgeweint. Das war zum Teil eine sehr schwere Stimmung. Was hilft, ist dann abends zusammenzusitzen und auch mal über etwas anderes zu reden. Wir haben aber auch oft über den Tag geredet. Es ist wichtig, sich zuzuhören und aufeinander Acht zu geben. Ich glaube, das haben wir ziemlich gut hinbekommen.
TVMovie.de: Was war so eine Szene, bei der du hinter der Kamera mitweinen mussten?
Christian Schwochow: Das war zum Beispiel bei der Szene, in der Maxi am Anfang ins Krankenhaus kommt und die Gewissheit hat, ihre Mutter und ihre Brüder haben nicht überlebt. Sie kommt mit einer Ahnung dort an. Sie erfährt es von ihrem Vater und bricht dann zusammen. Danach hat sie einen ziemlich expressiven Ausdruck. Das haben wir dreimal gedreht und ich habe jedes Mal Rotz und Wasser geheult. Es war sehr schwer, das auszuhalten. Es ist auch Wahnsinn, wie Luna das gemacht hat! Sie war erst 20, als wir das gedreht haben. Das ist Schauspielkunst auf so einem hohen Niveau und mit so einer Intensität! Daher war ich auch überglücklich, dass ich Luna für diese Rolle bekommen habe.
TVMovie.de: Möchtest du auch in Zukunft überwiegend politische Filme machen? Oder könntest du dir auch vorstellen, leichtere Unterhaltung zu machen?
Christian Schwochow: Das ist eine sehr gute Frage. Ich habe schon eine ganze Reihe politischer Filme gemacht. Auch meine Serien haben in der Regel immer eine politische Ebene. Und ich würde gerne weiterhin politisch arbeiten. Aber ich kann mir auch vorstellen, das in verschiedenen Genres zu tun. Aber ich habe tatsächlich auch mal eine Komödie gemacht, das war „Bornholmer Straße“. Da ging es um den Mann, der die Mauer geöffnet hat. Das fand ich sehr lustig und unterhaltsam. Ich hätte auch wieder Lust, mal eine Komödie zu machen. Bisher wurde mir noch keine gute angeboten und ich hatte auch selbst noch keine gute Idee. Aber ich bin sehr offen, mache gerne Experimente und bewege mich in unterschiedlichen Welten. Von daher kann noch vieles passieren.
TVMovie.de: Kannst du uns schon ein bisschen über deinen neusten Film „München - Im Angesicht des Krieges“, der auf Netflix erscheinen soll, verraten?
Christian Schwochow: Es ist ein politischer Film, der sich auch mit Faschismus und Rassismus beschäftigt. Er spielt 1938. Es geht es um die letzten Monate vor Beginn des zweiten Weltkrieges und zwei junge Hauptfiguren, gespielt von Jannis Niewöhner und George MacKay. Ein Deutscher und ein Brite, die sich damit auseinandersetzen, wie man einem Diktator wie Hitler begegnet. Politisch oder mit Gewalt? Das ist eine sehr schwere, nicht zu beantwortende Frage. Die diskutiert der Film.
TVMovie.de: Du bist international als Regisseur tätig. Du hast zum Beispiel bei The Crown mitgewirkt. Was machst du lieber: deutsche Filme oder internationale Filme?
Christian Schwochow: Das würde ich gar nicht so trennen wollen. Ich erzähle gerne Geschichten. Geschichten, die mich interessieren und die ich sehen will. Deswegen ist es erstmal immer von der Geschichte abhängig, ob ich einen Film oder Serie mache. Ich habe mich auch entschieden, ich werde in Deutschland wohnen bleiben. Ich bin zwar ab September wieder für ein halbes Jahr in England, weil ich dort drehe. Dann werde ich nächstes Jahr wahrscheinlich eine deutsche Produktion machen. Aber ich bin für alles offen und ich bin immer da, wo es eine gute Geschichte und gute Arbeitsbedingungen gibt.
TVMovie.de: Hast du das Gefühl, dass sich deutsche Produktionen auch internationalen annähern? Wie bspw. deine Serie Bad Banks?
Christian Schwochow: Ich habe zumindest das Gefühl, dass meine Produktion internationaler werden (lacht), auch wenn ich sie in Deutschland mache. Grundsätzlich glaube ich, dass es gerade bei deutschen Serien immer mal welche gibt, die es auch ins Ausland schaffen. Weil sich auch junge Regisseure und Regisseurinnen handwerklich eher an internationalen Standards orientieren. Wenn die Geschichten gut sind, dann kann man es schaffen, dass sie auch im Ausland gesehen werden.
TVMovie.de: Vielen Dank für das Gespräch!
Christian Schwochow: Danke.
Interview geführt von: Julia Großmann
„Je suis Karl“ startet am 16. September 2021 in den Kinos. Hier kannst du dir bereits den offiziellen Trailer anschauen: