In dem Psychothriller „A Different Man” zeigt Aaron Schimberg auf tragische Art und Weise und mit viel schwarzem Humor die Geschichte eines Mannes, der nach einer äußerlichen Verwandlung von seinen Unsicherheiten verfolgt wird…
„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“, „Es kommt nicht nur aufs Äußere an“ – Sprüche, mit denen Edward (Sebastian Stan), der Protagonist in Aaron Schimbergs neuem Film „A Different Man“, wahrscheinlich nicht viel anfangen kann. Gleich zu Beginn des Berlinale-Wettbewerbsfilms wird der erfolglose Schauspieler mit noch einem Spruch seines Nachbarn konfrontiert: „Alles Unglück im Leben kommt daher, dass man nicht akzeptiert, was man ist.“ Und das passt tatsächlich ziemlich gut, denn Edward hat ein durch eine Krankheit verformtes Gesicht und sieht darin den Grund für sein beruflich wie privates Unglück.
"A Different Man": Was unter der Maske zum Vorschein kommt
In seiner heruntergekommenen Wohnung bildet sich ein immer größer werdendes Loch an der Decke und steht stellvertretend dafür, dass auch der erfolglose Darsteller immer mehr in sich zusammenfällt. Als Schauspieler wird er nur für einen Clip gebucht, der Unternehmen einen vorbildlichen Umgang mit entstellten Menschen präsentieren soll. Und dann ist da noch seine neue Nachbarin Ingrid (Renate Reinsve), die zwar fasziniert von Edward zu sein scheint, aber als potenziellen Liebhaber nicht wahrnimmt.
Das alles nimmt der schüchterne, junge Mann deprimiert und resigniert zur Kenntnis. Als er dann durch seine Ärzte von einer neuen Pille erfährt, durch die sich die Wucherungen zurückbilden soll, stimmt Edward zu, Teil der Studie zu werden. Und tatsächlich: Schon nach kürzester Zeit bemerkt der Eigenbrötler Veränderungen, bevor sich in einer Body-Horror-Szene sein Gesicht schließlich komplett abschält und unter der Maske Sebastian Stan zum Vorschein kommt.
Danach scheint alles anders und Edward beginnt – nachdem er seinen eigenen Selbstmord vorgetäuscht hat – ein neues Leben. Sofort zieht er los, betrinkt sich, freundet sich mit Fremden an und wird mit einem Blowjob auf der Bar-Toilette beglückt. Startet für den unsicheren Mann nun die ultimative Playboy-Phase? Schon jetzt merkt der Zuschauende unterschwellig, dass die erhoffte Wirkung irgendwie doch ausbleibt. Und auch als Edward wenig später ein teures Appartement bewohnt und als Guy – wie er sich fortan nennt – in der Immobilienbranche erfolgreich ist – kann er sein altes Ich nicht so ganz hinter sich lassen.
Eine einseitige Rivalität
Als er durch Zufall erfährt, dass Ingrid ein Theaterstück über sein Leben verfasst hat, nimmt er am Casting teil. Die erkennt Edward natürlich nicht und zweifelt stark, dass der schöne Guy die Rolle wirklich verkörpern kann. In der Folge versucht er die Dramaturgin immer wieder davon zu überzeugen, dass er für diese Figur im wahrsten Sinne des Wortes geboren sei.
Dem Wahnsinn verfällt Guy schließlich, als Oswald (Adam Paerson) ins Theater spaziert kommt. Der Neue hat Neurofibromatose, also die Krankheit, die zu Beginn Edward das Leben schwer gemacht hat. Doch da hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf: Oswald ist nämlich anders als sein „Gegenspieler“ selbstbewusst, locker, ein Alleskönner. Edward ist zunehmend irritiert von seinem Kontrahenten, kann es in einer Szene beispielsweise gar nicht fassen, dass er sich auf eine Karaoke-Bühne stellt und von den Menschen im Publikum gefeiert wird. Immer wieder wird ihm durch den charismatischen Oswald ein Spiegel vorgehalten – und der zeigt eben, dass ein neues Gesicht eben keinen neuen Menschen macht.
So gut sind Sebastian Stan und Adam Pearson
Sebastian Stan spielt den verunsicherten, ständig getriebenen Edward mit einer berührenden Tragik. Allerdings wird ihm nicht nur in seiner Rolle, sondern ganz wortwörtlich regelmäßig von Co-Star Adam Pearson die Show gestohlen. Sebastian Stans Darbietung bietet gerade in der zweiten Hälfte die Grundlage für das Schauspiel von Pearson, der Oswald sympathisch, aber zuweilen auch berechnend darstellt. Komplementiert wird das Ganze durch Renate Reinsve, die Ingrids Narzissmus – eigentlich benutzt sie beide Männer für ihre Zwecke – auf den Punkt verkörpert und wohl für die bitterbösesten Momente im Film sorgt.
Gekonnt mischt Aaron Schimberg in seinem Film verschiedene Genres miteinander – düsterer Thriller trifft auf bitterböse Satire mit Horrorelementen. Gerade dieser Mix und die verschiedenen Wendungen sorgen dafür, dass der Zuschauende dranbleibt. Gegen Ende tendiert der Streifen ins Konfuse abzudriften, wenn Edward völlig den Verstand verliert und das Trio in einer letzten, verwirrenden Sequenz aufeinandertrifft. Es ist dem bis zum Finale bestehenden humorvollen Ton zu verdanken, dass der Film dennoch seine Stärke behält.
In „A Different Man“ macht Aaron Schimberg auf dunkle, ironische Art und Weise deutlich, dass wir ständig von unseren Vorstellungen von Schönheit und Attraktivität getrieben werden und, dass wir vor unserer Identität nicht flüchten können – auch mit einer täuschend echten Maske nicht.
"A Different Man" lief im Wettbewerb der Berlinale 2024. Am 5. Dezember startet der Film in den deutschen Kinos.